Malory
brachen. Es war der pure Wahnsinn, sich hier mutterseelenallein herumzutreiben.
Sie hatte doch James nur ein wenig mehr bezirzen müssen, um seine Meinung zu ändern. Sie hatte doch so ihre kleinen Tricks auf Lager wie alle Frauen; und wozu waren die gut, wenn man sich ihrer nicht zuweilen bediente?
Georgina machte auf dem Absatz kehrt und wollte schon denselben Weg wieder zurückgehen, den sie gekommen war, und dann irgendwo eine Kutsche anhalten, um nach Hause zurückzufahren, als sie am anderen Ende der Straße eine Droschke warten sah. Zögernd blieb sie stehen und überlegte, ob sie lieber den relativ sicheren, aber langen Rückweg antreten oder aber diese düstere Straße entlangge-hen sollte, vorbei an zwei Kneipen, aus deren offenen Türen dicke Rauchwolken und das Gejohle der betrunkenen Seeleute quoll. Abgesehen von den zwei Raufbolden, die sich noch immer mitten auf der Straße prügelten, war weit und breit niemand sonst zu sehen. Also, die Beine unter den Arm nehmen und rennen, dann wäre sie in weniger als einer Minute bei der Droschke und brauchte sich nur noch Gedanken machen, wie sie unbemerkt wieder in das Haus am Picadilly gelangen konnte.
Sie faßte sich ein Herz und huschte im Laufschritt die andere Straßenseite entlang, an einer Taverne vorbei, aus deren Türen nicht ganz soviel Lärm dröhnte wie aus der anderen.
Vor lauter Angst hatte sie den Kopf eingezogen und den Blick seitlich auf die Straße gerichtet, während sie durch die Dunkelheit hastete. Plötzlich stieß sie mit voller Wucht gegen eine breite Brust und wenn sie nicht jemand aufgefangen hätte, wäre sie mitsamt ihrem Gegenüber der Länge nach hingefallen.
»Oh, Verzeihung«, stammelte sie und stellte zu ihrem Schrecken fest, daß sich die Arme, die sie gestützt hatten, nur noch enger um sie schlössen, anstatt sie freizugeben.
»Keine Ursache, Schätzchen«, hörte sie eine heisere Stimme. »Mich kannst du jederzeit umrennen, das macht mir nichts aus.«
Georgina wußte nicht, ob sie nun dankbar sein sollte oder nicht, als sie die einigermaßen kultivierte Stimme vernahm.
Anscheinend war es ein Gentleman, der sie noch immer festhielt, was ihr auch ein schneller Blick auf die gutgekleidete Brust bestätigte. Doch als ihre Augen noch etwas weiter nach oben wanderten, hielt sie erstarrt inne: Groß, blond und blendendes Aussehen - der junge Mann erinnerte sie geradezu unheimlich an ihren James, abgesehen von seinen Augen, die eher haselnußbraun waren.
»Vielleicht will sie uns begleiten«, ließ sich eine andere Stimme leicht nuschelnd vernehmen.
Georgina drehte sich um und warf einen Blick auf den Mann, der sie aufgefangen hatte, er war ebenfalls jung, schien aber selbst auch nicht mehr ganz sicher auf den Beinen zu stehen, und sie hatte das unangenehme Gefühl, daß die beiden auf ein Abenteuer aus waren.
»Na klar, Percy, verdammt gute Idee«, stimmte der Blonde seinem Kumpanen zu und wandte sich an sie: »Hast du Lust, Süße, machen wir einen drauf?«
»Nein«, sagte sie unmißverständlich und versuchte, sich aus seiner Umklammerung zu befreien. Ohne Erfolg.
»Nur keine übereilten Entschlüsse«, versuchte er sie zu beschwatzen. »Mein Gott, was für ein hübsches Dingelchen.
Egal wem du gehörst, ich überbiete seinen Preis und leg noch was dazu, Schätzchen, dann brauchst du dich heute Nacht nicht mehr hier draußen herumzudrücken.«
Georgina war viel zu verblüfft, um sofort eine Antwort parat zu haben, da hörte sie noch eine andere Stimme hinter ihrem Rücken sagen: »Potz Blitz, Vetterchen, du sprichst mit einer Lady. Riskier mal einen Blick auf ihre vornehmen Klamotten, wenn du mir nich' glaubst.«
Jetzt waren es schon drei. Langsam wurde es Georgina ungemütlich in ihrer Haut, zumal der Große sie immer noch festhielt.
»Sei kein Arschloch, mein Freund«, meinte er trocken zu dem Dritten im Bunde. »Hier? Und ganz allein?« Dann wandte er sich an Georgina und legte ein Lächeln auf, bei dem wahrscheinlich jeder anderen Frau die Knie weich geworden wären, denn er war tatsächlich höllisch attraktiv.
»Du bist doch keine Lady, Süße, oder? Bitte sag nein!«
Georgina mußte beinahe lachen, als sie seinen treuherzi-gen, flehenden Gesichtsausdruck wahrnahm und sie wußte auch genau, weshalb.
»So sehr ich es auch bedauere, muß ich doch zugeben, daß seit meiner Vermählung tatsächlich ein ‹Lady› meinen Namen ziert. Doch abgesehen davon haben Sie mich nun wohl lange genug aufgehalten, mein
Weitere Kostenlose Bücher