Malory
erwartet. Aber es wäre von dir nicht zu viel verlangt gewesen, dir darüber wenigstens Klarheit zu verschaffen. Du hättest zumindest einen Brief schreiben können, wenn dir die lange Reise schon zu beschwerlich gewesen war. Die Postverbindung zwischen unseren beiden Ländern ist ja schon seit geraumer Zeit wieder intakt. Ich selbst habe schon ein oder zwei Schiffe aus England bei uns im Hafen liegen sehen.«
Georgina hatte ganz bewußt einen etwas sarkastischen Ton angeschlagen. Wenn sie nur daran dachte, wieviele Jahre sie noch auf diesen Mann gewartet hätte. Ein Mann, der niemals die Absicht gehabt hatte, zu ihr zurückzukehren! Sie hätte ihn wahrscheinlich nie wiedergesehen, wenn sie nicht nach England gereist wäre. Georgina war zutiefst verletzt und konnte seinen Gedankengängen immer noch nicht ganz folgen. Malcolm sah sie nicht einmal an.
»Ich habe dir geschrieben.«
Sie spürte genau, daß das eine Lüge war. Er wollte bloß nicht ihren Stolz verletzen, dieser gemeine Feigling. Daß sie ihren Stolz schon vor Jahren geopfert hatte, um ihn zu bekommen, davon hatte er nicht die leiseste Ahnung. Jetzt war es auch nicht mehr angebracht, sich wegen seinen faden-scheinigen Entschuldigungen aufzuregen, die sich bei näherer Betrachtung sogleich als Lügen herausgestellt hätten.
Mein Gott, sie selbst hatte sich in den Jahren des Wartens weitaus bessere Entschuldigungsgründe für seine Abwesenheit ausgedacht als die, die er jetzt vorbrachte.
Bewußt unterdrückte Georgina ihren aufkeimenden Arger, obwohl sie maßlos von Malcolm enttäuscht war. Also war er doch nicht so vollkommen, aufmerksam und ehrlich, wie sie immer geglaubt hatte. Er fühlte sich jetzt von ihr überfahren und in die Ecke gedrängt, deshalb wollte er ihre Gefühle wohl nicht mit der harten Wahrheit verletzen. Von einer anderen Warte aus betrachtet, sprach das ja eigentlich für ihn, überlegte sie sich.
»Anscheinend hat mich dein Brief nicht erreicht, Malcolm«, erwiderte sie scheinheilig und überhörte dabei geflissentlich Macs empörtes Schnauben, wofür sie ihm am liebsten ins Schienbein getreten hätte. »Ich nehme an, in dem Brief stand, daß du den Krieg heil überstanden hast?«
»Hm.«
»Und wahrscheinlich hast du mir auch von deiner plötzlich entflammten Heimatliebe zu England berichtet?«
»In der Tat.«
»Und hast in Anbetracht dessen offiziell unsere Verlobung gelöst?«
»Ja, nun, ich ...«
Scharf unterbrach Georgina sein Zögern. »Oder hast du die Hoffnung ausgedrückt, daß ich dich noch immer heiraten möge?«
»Sicherlich ...«
»Und als du auf deinen Brief keine Antwort erhieltest, mußtest du annehmen, ich hätte einen anderen?«
»Ja, genauso war es.«
Georgina entschlüpfte ein leiser Seufzer. »Wie schade, daß mich dein Brief nie erreicht hat. All die vielen vergeudeten Jahre.«
»Was willst du damit sagen?«
»Schau nicht so überrascht, Malcolm. Ich bin immer noch bereit, dich zu heiraten. Schließlich bin ich nur deshalb hier-hergereist. Aber bitte verlange nicht von mir, hier in England mit dir zu leben. Diesen Wunsch kann ich dir nicht er-füllen. Du kannst natürlich hierherkommen, sooft du willst.
Als Kapitän auf meinem Schiff, der Amphitrite, hättest du die Möglichkeit, dich vorwiegend um den Englandhandel zu kümmern, wenn du das möchtest.«
»Ich ... ich. Um Himmelswillen, Georgie ... ich ...«
»Malcolm?« unterbrach ihn eine junge Frau, die plötzlich hinter ihm auftauchte. »Warum hast du mir denn nicht gesagt, daß wir Besucher haben?« Mit einem offenen Lächeln wandte sie sich an Georgina. »Ich bin Mag Cameron, Madam. Kommen Sie gerade vom Herrenhaus? Man feiert dort sicher gerade wieder ein Fest?«
Fassungslos starrte Georgina die Frau an, da fiel ihr Blick auf den etwa fünfjährigen Jungen, der sich scheu hinter ihrem Rock versteckt hielt. Er hatte blaue Augen, dunkle Haare und war Malcolm wie aus dem Gesicht geschnitten. Ihr Blick wanderte noch einmal hinüber zu dem Vater des Jungen, der plötzlich unheimlich krank aussah.
»Ist das ihre Schwester, Malcolm?«
»Nein.«
»Hab ich auch nicht vermutet.«
6. Kapitel
Kein Abschiedsgruß. Keine guten Wünsche. Nicht einmal ein ›Geh zum Teufel. Georgina drehte sich einfach auf dem Absatz um und ließ das schmucke, weiße Landhaus hinter sich - und damit all ihre Hoffnungen und kindlichen Jung-mädchenträume. Mac hatte noch irgendwelche höflichen Entschuldigungen gemurmelt, bevor auch er ging. Jetzt stand er hinter
Weitere Kostenlose Bücher