Malory
verschont: Rum in ihrer heißen Schokolade, Knoten in den Bändern ihrer Hauben.
Sie waren nicht einmal davor zurückgeschreckt, ihre Unter-hosen an der Wetterfahne aufzuhängen. Niederträchtige Brüder gab es offenbar überall auf der Welt, nicht nur in Connecticut.
»Ich kenne das sehr gut, Kapitän«, beeilte sie sich zuzustimmen. »Sie können wirklich sehr lästig sein.«
»Ja, ganz recht.«
Sie bemerkte die Belustigung in seiner Stimme, als wenn er ihre Bemerkung anmaßend gefunden hätte - was sie für einen Zwölfjährigen ja auch war. Sie mußte wirklich mehr auf ihre Bemerkungen achtgeben. Keine Sekunde durfte sie vergessen, daß sie ein Bursche war, ein ziemlich junger noch obendrein. Aber gerade in Augenblicken wie diesem kam es ihr besonders hart an, zumal sie eben diesen eindeutig britischen Akzent in seiner Aussprache bemerkt hatte. Es wäre wirklich größtes Pech, wenn ausgerechnet der Kapitän ein Engländer war. Den anderen könnte sie aus dem Weg gehen, aber nicht dem Kapitän.
Georgina spielte gerade mit dem Gedanken, ob es nicht besser sei, an Land zu schwimmen, solange sich noch die Gelegenheit bot, als sie durch ein scharfes »Stell dich gerade hin und laß dich mal ansehen« aus ihren Überlegungen auf-geschreckt wurde.
Ruhig Blut, ermahnte sie sich selbst. Eines nach dem anderen. Der Akzent könnte genausogut nur eine Angewohnheit sein. Sicherlich hat er viel Zeit in England verbracht.
Langsam setzte sie sich in Bewegung, kam um den Tisch herum und ging weiter, bis ein Paar glänzende Reitstiefel in ihrem Sichtfeld auftauchten. Ihr Blick wanderte langsam an taubengrauen Hosen, in denen muskulöse Beine steckten, nach oben. Ohne ihren Kopf zu heben, konnte sie noch einen Blick auf ein weißes Leinenhemd und kräftige Handgelenke erhaschen, die in bauschigen Manschetten steckten und sich lässig auf schmale Hüften stützten. Weiter als zu einem Flek-ken dunkler Haut, der durch den V-Ausschnitt des Hemdes schimmerte, reichte ihr Blick nicht, ohne daß sie ihre Haltung veränderte, denn diese Gestalt war so groß ... und breit.
»Nicht hier im Schatten«, dirigierte er sie. »Stell dich mehr nach links ins Licht. So ist es besser.« Überflüssigerweise stellte er fest: »Du bist nervös, stimmt's?«
»Das hier ist mein erster Job, Sir.«
»Und den willst du natürlich nicht verpfuschen? Ganz ruhig, Junge. Kleinen Kerlen reiße ich nicht den Kopf ab nur großen.«
War das ein Angriff auf ihr anmaßendes Verhalten von vorhin? »Freut mich zu hören.« Oh Gott, das war zu frech.
Halte deine Klappe im Zaum, Georgina.
»Ist mein Teppich denn so interessant?«
»Sir?«
»Scheint ganz so, als könntest du deine Augen nicht davon losreißen. Oder hat man dir erzählt, ich bin so häßlich, daß du dich bei meinem Anblick auf der Stelle in Erbsensuppe verwandelst?«
Sie lächelte über seinen Versuch, die Stimmung etwas auf-zulockern, besann sich aber sofort eines Besseren. Sie hatte sich zwar ein wenig beruhigt, aber die Vorstellung war noch nicht vorüber, und es wäre bestimmt von Vorteil, wenn er sie weiterhin für aufgeregt hielt und etwaige Fehler ihrer Nervosität zuschrieb.
Georgina schüttelte auf seine Frage hin den Kopf und hob dann langsam das Kinn, so wie es ein Junge ihres Alters getan hätte. Sie hatte vor, ihn nur kurz anzusehen und dann gleich wieder schamvoll zu Boden zu blicken, in der Hoffnung, dieses kindliche Verhalten würde ihn ablenken. Aber es kam ganz anders. Sie blickte ihm ins Gesicht, senkte dann wie geplant den Kopf, und da passierte es: Ohne daß sie es hätte verhindern können, schoß ihr Kopf wie von selbst wieder nach oben, und sie starrte in die grünen Augen, die sie so deutlich in Erinnerung hatte, als wären sie ihr jede Nacht im Traum erschienen.
Das könnte doch unmöglich wahr sein. Er? Hier? Dieses arrogante Ungeheuer, das sie nie wieder zu treffen gehofft hatte? Hier? Das konnte unmöglich der Mann sein, dem sie sich als Diener angeboten hatte. Was war sie nur für ein elender Pechvogel!
In ihrem Gesicht spiegelte sich nackte Panik, und er fragte nur scheinheilig: »Stimmt was nicht, Kleiner?«
»Nein«, preßte sie hervor und ließ ihre Augen so rasch zu Boden sinken, daß ein Stechen durch ihre Schläfen schoß.
»Du verwandelst dich doch hoffentlich nicht wirklich in Erbsensuppe?«
Irgendwie brachte sie ein verneinendes Gemurmel heraus.
»Gott sei Dank! Meine Verfassung könnte dies im Augenblick auch nicht ertragen.«
Was redete
Weitere Kostenlose Bücher