Malory
er da für einen Unsinn? Eigentlich müßte er mit dem Finger auf sie zeigen und ausrufen: ›Du?‹ Hatte er sie etwa gar nicht erkannt? So langsam dämmerte ihr, daß er sie fortwährend mit ›Kleiner‹ angesprochen hatte. Sie hob ihren Kopf nochmals, um ihn genauer anzusehen. In seinem Gesicht konnte sie weder Überraschung, Argwohn oder Zweifel ausmachen. Seine Augen blickten sie noch immer mit derselben Offenheit und einer leichten Belustigung an.
Er erinnerte sich scheinbar wirklich nicht an sie. Nicht einmal Macs Namen hatte ihn stutzig gemacht.
Unglaublich. Natürlich sah sie jetzt anders aus als damals in der Taverne, wo sie in viel zu großen und, an der falschen Stelle, viel zu engen Klamotten gesteckt hatte. Ihre jetzigen Kleider paßten ihr wie angegossen, sie saßen weder zu eng, noch zu weit und waren nagelneu. Nur die Mütze war die gleiche wie damals. Die straffe Korsage, die ihre Brust einschnürte und die an der Hüfte weite Jacke gaben ihr die gerade Figur eines Jungen. Außerdem war die Beleuchtung in der Kneipe eher schummrig gewesen. Vielleicht hatte er sie gar nicht so gut erkennen können, wie sie ihn. Außerdem, warum sollte er sich den kleinen Zwischenfall gemerkt haben? Der brutalen Art nach zu urteilen, mit der er sie in dieser Taverne behandelt hatte, mußte er voll wie eine Strand-haubitze gewesen sein.
James Malory spürte genau, wie sich ihre Nervosität langsam löste und sie sein angebliches Nichtwiedererkennen begriff. Er selbst hatte auch zeitweise die Luft angehalten, gespannt, ob sie ihn wiedererkennen würde, und sich im Stillen schon auf einen ähnlichen Angriff wie damals in der Taverne eingestellt. Doch offensichtlich war sie überzeugt, daß sie unerkannt geblieben war und hatte deshalb beschlossen, ihren Mund zu halten und weiterhin den Burschen zu mimen - genau wie er es erhofft hatte.
Eigentlich hätte er sich jetzt entspannen können, wäre da nicht die Erregung gewesen, die ihn in dem Augenblick ge-fangennahm, als sie durch die Türe trat. So ein starkes sexuelles Verlangen hatte er seit einer Ewigkeit nicht mehr empfunden. Die meisten Frauen ließen sich einfach viel zu schnell erobern. Selbst der beliebte Wettstreit mit seinem Bruder um die Gunst der Damen hatte seinen Reiz verloren, und das schon lange bevor er vor zehn Jahren England verlassen hatte. Es war längst nicht mehr um den Preis gegangen, sondern nur noch um ihren persönlichen Kampf. Die Frauen, die sie dabei verführt hatten, zählten nicht - es waren so viele gewesen.
Doch hier war etwas völlig anderes. Dieses Gefühl, eine Frau um jeden Preis besitzen zu müssen, konnte selbst einen erfahrenen Schürzenjäger wie ihn aus der Fassung bringen.
Diesmal begehrte er nicht irgendeine Frau. Er wollte diese.
Einmal war sie ihm schon entwischt, und der Verlust war ihm unter die Haut gegangen. Normalerweise hätte er keinen zweiten Gedanken an eine Frau verschwendet, doch diesmal reizte ihn das Geheimnisvolle, das sie umhüllte.
Vielleicht war es auch einfach nur ihr süßes kleines Hinterteil, das ihm so deutlich im Gedächtnis geblieben war.
Der Grund spielte für ihn eigentlich keine Rolle, wichtig war nur, sie zu besitzen. Ihn selbst überraschte das am meisten, denn das war schließlich kein abgekartetes Spiel. Plötzlich war die gewohnte Überdrüssigkeit wie weggeblasen, er bebte innerlich vor Erregung, die ihn in ihrer Nähe nicht zur Ruhe kommen ließ. Dieser Angriff auf seine Sinnlichkeit kam ihm geradezu lächerlich vor, wenn er daran dachte, daß er sie noch nicht einmal berührt hatte, und sich das auch in absehbarer Zeit nicht erlauben könnte, wenn er sein Spielchen mit ihr, das noch gar nicht richtig begonnen hatte und noch so viele aufregende Episoden bereithielt, noch eine Weile weiterspielen wollte.
Er mußte etwas Abstand zu diesem verlockenden Weib halten und schlenderte zum Eßtisch, um den Inhalt der silbernen Schüsseln zu inspizieren. Es klopfte.
»Georgie ... ist das richtig?«
»Bitte Kapitän?«
Er fragte über die Schulter. »War das dein Name?«
»Oh ja. Georgie, Sir.«
Er nickte. »Das wird Artie mit den Koffern sein. Du kannst schon mal anfangen auszupacken, während ich mich mit diesen kalten Köstlichkeiten vergnüge.«
»Möchten Sie, daß ich das Essen aufwärme, Kapitän?«
Sie wollte den Raum so schnell wie möglich verlassen, wie er unschwer an dem hoffnungsvollen Unterton in ihrer Stimme erkennen konnte. Er war jedoch nicht gewillt, sie aus den Augen
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