Malory
Du weißt schon, nicht der ganz Wilde, der schon seit Jahren nicht mehr hier ist, sondern der andere -
der großartige Schütze... Ja, jetzt habe ich's! Anthony, Lord Anthony! Gütiger Himmel! Du glaubst doch nicht etwas, daß sie dich mit ihm eifersüchtig machen will? Nicht einmal du wagst es, dich mit ihm anzulegen, Nick.«
Nicholas antwortete nicht. Langsam, ganz langsam, verließ er den Park und überquerte die Straße. Wenn sich Selena tatsächlich in diesem Haus aufhielt, dann wußte sie, daß er sie entdecken würde, denn er kam jeden Abend auf dem Heimweg von seinem Club hier vorbei. An diesem Abend waren sie auf der Piccadilly-Seite aus dem Park geritten, und die Kutsche wäre ihm gar nicht aufgefallen, wenn Percy sie nicht bemerkt hätte. Aber jetzt war seine Neugier geweckt.
Saß Selena im Wagen und wartete darauf, daß er vorbeikäme? Oder hatte sie etwa keinen Begleiter für ihren verfluchten Ball finden können und war jetzt entschlossen, ihn doch dorthin zu schleifen? Es war ausgeschlossen, daß sie Anthony Malory kannte, der mit seinen Kumpeln einer völlig anderen Welt angehörte, einer Horde von Wüstlingen, die der Gesellschaft einen Schock nach dem anderen versetzten. Nicholas hatte zwar selbst einen be-fleckten Ruf, aber nicht einmal ihn hätte man zu diesen Tunichtguten gezählt.
Und wenn sie Malory doch irgendwo begegnet war?
Aber ausgerechnet heute nacht würde sie sich niemals hier rumtreiben. Dazu bedeutete ihr der Shepford-Ball zuviel. Seit einem Monat sprach sie von nichts anderem.
Oder hatte sie ein Stelldichein mit Malory? Nicholas zü-
gelte sein Pferd drei Häuser weiter am Randstein. Percy holte ihn ein und sah in bestürzt an. »Das, was ich vorhin sagte, war keine Herausforderung. Du hast doch nicht etwa vor, eine Dummheit anzustellen, oder?«
»Ich habe mir nur etwas überlegt, Percy«, erwiderte Nicholas grinsend. »Wenn Lady E. wirklich dort drinnen ist, dann wird sie jeden Augenblick herauskommen.«
»Woher willst du das wissen?«
»Der Ball. Sie wird vielleicht zu spät kommen, aber sie wird ihn nicht verpassen, sie nicht. Oder vielleicht doch -
ganz entgegen ihren Absichten. Eine Frau sollte sich nicht so sehr auf etwas versteifen, daß sie den Mann in ihrem Leben ignoriert. Diese Lektion sollte ihr unmißverständlich erteilt werden, findest du nicht? Ja, unmißverständlich. Absolut unmißverständlich. Damit sie denselben Fehler nicht noch einmal macht.«
»Montieth! Was zum Teufel hast du vor?« fragte Percy besorgt.
Nicholas antwortete nicht, weil seine Aufmerksamkeit auf die Haustür gelenkt wurde, die sich nun öffnete. Sein Grinsen wurde breiter, als Selena Eddington auf die Straße trat. Eine schwarze Halbmaske, die sie mit den Händen vor ihr Gesicht hielt, verdeckte ihre Augen, aber dieses schwarze Haar hätte er überall erkannt. Sie trug ein langes Cape mit Pelzbesatz, das am Hals geschlossen und über ihre Schultern zurückgeworfen war, und darunter schimmerte ein bezauberndes roséfarbenes Gewand. Nicholas war entgeistert. Rosé? Das war keine ihrer Farben.
Sie bezeichnete sie herablassend als die Farbe der Unschuld, etwas, das sie schon vor langem ohne Reue verloren hatte. Er nahm an, daß sie die Herzogin von Shepford mit ihrer Jugend beeindrucken wollte.
Sie drehte sich zu dem Mann um, der hinter ihr stand, und Nicholas erkannte Anthony Malory, den er nur zu oft in den Clubs sah. Allerdings war er nicht mit ihm befreundet. Selena findet ihn mit Sicherheit äußerst attraktiv, überlegte Nicholas. Nun, er wünschte ihr Glück. Malory war ein noch eingefleischterer Junggeselle als er selbst.
Den würde sie nie vor einen Altar schleifen. Ob ihr das wohl klar war?
Er beobachtete belustigt, wie sie Malory umarmte und ihm dann einen flüchtigen Kuß gab. Offensichtlich begleitete er sie nicht zu dem Ball, denn er trug einen Hausman-tel.
»Wie reimst du dir das zusammen?« fragte Percy beun-ruhigt. Er lenkte sein Pferd noch etwas näher zu Nicholas.
»Es ist doch Lady E., oder?«
»Ja, und du tust mir einen großen Gefallen, wenn du die Kutsche so lange wie möglich davon abhälst zu wenden, Percy.«
»Verdammt, was hast du denn vor?«
»Ich will Lady E. zu mir nach Hause bringen, was denn sonst?« entgegnete Nicholas lachend. »Ich schneide ihr den Weg ab. Treffen wir uns in der Park Lane.«
»Der Teufel soll dich holen, Nick!« rief Percy. »Da steht Malory!«
»Ja, aber er wird mich nicht zu Fuß verfolgen, oder? und wenn er sich gerade
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