Malory
Sonne fiel, soweit das Auge reichte, glitzernd auf das blaue Wasser.
Nicholas nahm an diesem frühen Apriltag nichts von all der Schönheit wahr, denn er war zu verdrossen. Er kehrte vom kleinen Inselhafen zurück, wo er Captain Bowdler getroffen und erfahren hatte, sein Schiff könnte mit der Flut am nächsten Morgen auslaufen. Er würde zurück nach England segeln, nach Hause, zu Regina.
Die sechs Monate, die er fort gewesen war, hatten nicht dazu beigetragen, sie aus seinen Gedanken zu verbannen.
Er hatte es wirklich versucht und Monate damit verbracht, eine baufällige Villa in das Glanzstück der ganzen Insel zu verwandeln, weitere Monate damit, den Boden für die Saat vorzubereiten. Fast jede Sekunde hatte er hart gearbeitet, aber seine Grundstimmung war immer noch be-
ängstigend sentimental. Hundertmal hatte er sich entschlossen, nach Hause zurückzukehren, und sich diesen Vorsatz ebenso oft wieder ausgeredet. Die Lage dort konnte sich nicht verändert haben. Miriams Drohungen belasteten seine Ehe mit Regina immer noch.
Doch in all der Zeit hatte Nicholas das Naheliegende übersehen. Regina wußte es wahrscheinlich längst. Miriam konnte nicht sechs Monate lang mit seiner Frau zusammenleben, ohne zu versuchen, sie gegen ihn einzunehmen. Ja, inzwischen mußte Regina alles wissen.
Diese Wahrscheinlichkeit war ihm letzte Woche vor Augen geführt worden, als er sich mit Captain Bowdler gewaltig betrunken und dem Mann sein Herz ausgeschüttet hatte. Ein objektiver Außenstehender, genauso betrunken wie er, war nötig, um ihm deutlich zu machen, daß er hier auf der Insel festsaß und schmollte wie ein Kind, weil er die Frau nicht hatte, die er haben wollte. Aber er hatte wahrhaft lange genug geschmollt. Es war an der Zeit, nach Hause zu gehen und dort zu erkunden, wie die Dinge standen. Wenn seine Frau ihn verabscheute, dann war das eben das Ende der ganzen Geschichte.
Aber wenn nicht? Das hatte ihn auch Captain Bowdler gefragt. Was war, wenn sie die öffentliche Meinung achtlos abtat und ihn nach seinen eigenen Vorzügen beur-teilte? Nun, die Wahrheit war, daß er sie abscheulich behandelt hatte und daß sie ihn nur danach einschätzen konnte. Außerdem war es bereits zu einem Skandal gekommen, und sie hatte daraufhin beschlossen, ihn zu heiraten. Er hätte gern geglaubt, daß sie es aus anderen Gründen als um der Schicklichkeit willen getan hatte, aber das war zu unwahrscheinlich.
Was bedeutete das alles für ihn? Es sagte ihm gar nichts.
Ehe er nicht wieder zu Hause war, konnte er nicht wissen, wieviel Unheil angerichtet worden war.
Ein barfüßiger Junge mit schokoladenbrauner Haut kam aus dem großen weißen Haus gelaufen, um Nicholas das Pferd abzunehmen. Das war das einzige, woran Nicholas sich hier nie gewöhnt hatte - daß er Sklaven hielt.
Es war das einzige, was er an diesen Inseln haßte.
»Sie haben Gäste, Sir, im Arbeitszimmer«, teilte ihm seine Haushälterin mit. Er bedankte sich bei ihr und lief etwas verärgert durch die weitläufige Eingangshalle. Wer wollte ihn besuchen? Er mußte noch packen und außerdem einen Termin mit seinem Grundstücksverwalter wahrnehmen. Für einen Plausch hatte er keine Zeit.
Nicholas trat in das abgedunkelte Arbeitszimmer, dessen Jalousien die Mittagshitze abhielten. Er warf einen Blick auf die drei Stühle vor seinem Schreibtisch, die besetzt waren. Statt seinen Augen zu trauen, schloß er sie.
Das durfte doch gar nicht wahr sein. »Sagen Sir mir, daß Sie nur in meiner Einbildung existieren, Hawke.«
»Ich existiere nur in Ihrer Einbildung.«
Nicholas ging durch das Zimmer und nahm hinter seinem Schreibtisch Platz. »Dann haben Sie wohl auch nichts dagegen, wenn ich so tue, als seien Sie gar nicht da?«
»Siehst du, was ich meine, Jeremy? Er würde dem Teufel ins Gesicht spucken.«
»Ist der das Beste, was Sie als dritten Mann bekommen konnten?« fragte Nicholas trocken und wies mit einer Kopfbewegung auf den jungen Mann. »Ich halte nichts davon, Kinder zu mißhandeln. Kommen Sie und Ihr rothaariger Begleiter nicht ohne Hilfe aus?«
»Es scheint Sie nicht zu überraschen, mich hier zu sehen, Montieth«, sagte James mit ruhiger Stimme.
»Sollte ich überrascht sein?«
»Ja, sicher. Sie haben England verlassen, ehe ich ge-hängt werden sollte.«
»Ach ja... « Nicholas lehnte sich lächelnd zurück. »Hat es eine große Menschenmenge angelockt?«
»Sie finden das wohl amüsant?« rief Jeremy hitzig.
»Mein lieber Junge, das einzige, was ich
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