Malory
für Nicolai. Mit einer wütenden Kopfbe-wegung schüttelte Anastasia die Haare aus dem Gesicht und blitzte ihn haßerfüllt an.
»Vielleicht hast du mich nicht richtig verstanden, Ni-co. Ich war bei meinem Ehemann, dem Gajo, den ich gestern nacht geheiratet habe, dem Gajo, der dich in ein englisches Gefängnis werfen läßt, wenn du es wagst, noch einmal die Hand gegen mich zu erheben.«
Er blickte ziemlich verunsichert drein, so wie sie es er-hofft hatte, und bei dem Wort Gefängnis erbleichte er sogar leicht. Ein Zigeuner würde eher sterben, als auch nur für kurze Zeit eingesperrt zu sein. Doch er traute ihr nicht ganz, und das mit gutem Grund.
»Du bist mir versprochen!« erinnerte er sie. »Du würdest es nicht wagen, einen anderen zu heiraten.«
»Versprochen, ja, aber nicht von mir. Du kamst für mich nie in Frage, Nico, und ich hätte niemals eingewilligt, dich zu heiraten. Ich hätte irgendeinen anderen Mann geheiratet, aber statt dessen habe ich mich für die Liebe entschieden, ja, die Liebe, eine Möglichkeit, die dir fremd ist.«
Er hätte sie wieder geschlagen, wenn sie nicht außerhalb seiner Reichweite am Boden gelegen hätte. Einige Zuschauer hatten sich um sie versammelt, in einiger Entfernung allerdings, aber doch so nahe, daß sie alles hören und sehen konnten. Sein Vater hatte sich eingefunden und Maria, die, so schnell wie es ihre alten Knochen erlaubten, herbeigeeilt war. Für gewöhnlich hatte sie Begegnungen zwischen Anastasia und Nicolai gemieden. Diese hier versetzte sie in Wut.
Nicolai sah sie kommen und wurde stocksteif. Es gab keinen unter ihnen, seinen Vater eingeschlossen, der sich nicht vor Maria fürchtete. Ihre Weissagungen er-füllten sich immer, auch ihre Flüche. Sie brachte ihrem Stamm Glück; sie entscheid über Gedeih und Verderb der Zigeuner.
Aber er war zu aufgebracht, um jetzt daran zu denken.
Er hob eine Hand und wies sie zurück. »Das geht dich nichts an, Alte.«
Als Antwort warf sie Goldmünzen nach ihm. Jede traf, jede an einer anderen Stelle. Jede schmerzte mehr als erwartet, wurden sie doch von einem schwachen Arm geworfen.
»Hier ist dein Brautpreis«, rief Maria verächtlich. »Auf meine Enkeltochter hast du jetzt kein Recht mehr. Sie ist eine Fremde für dich, und als das wirst du sie auch behandeln. Also, Hände weg von ihr.«
»Das kannst du nicht machen!« knurrte er drohend.
»Es ist zu Ende. Auch wenn sie dich haben wollte, würde ich sie dir nicht geben. Du verdienst nicht einmal einen Hund, geschweige denn eine Frau. Dein armer Vater ist mit einem Sohn wie dir gestraft.«
»Deine Worte sind mehr als hart, Maria«, brauste Iwan auf, als er sich neben sie stellte. »Du hast sie im Zorn gesprochen, aber ...«
»Nicht im Zorn, Iwan. Es ist die traurige Wahrheit«, unterbrach ihn Maria. »Keiner wagt es, sie in deiner Gegenwart auszusprechen, nur ich. Ein Sterbender kennt keine Furcht.«
Er hatte genug gehört, bevor er näher gekommen war, um die Bedeutung der letzten Worte zu begreifen. Er wurde kalkweiß. »Nein! Wir können euch nicht beide verlieren.«
»Diesmal hast du keine Wahl. Du kannst Anna nicht zurückhalten, wenn ihr Herz sie von hier fortführt. Es wäre nicht zum Guten, wenn du es versuchst. Es wür-de dir nur Unheil bringen. Aber die Schuld trifft keinen anderen als dich. Hättest du Nicolai besser erzogen und seinen Hang zur Grausamkeit unterbunden, dann hätte sie vielleicht Liebe für ihn empfunden und keinen Haß.«
Iwan stieg die Zornesröte ins Gesicht, aber er wollte sich jetzt den Vorwürfen nicht stellen, auch wenn Nicolai tatsächlich eine Enttäuschung für ihn war. Glück und Segen des Stammes standen im Augenblick auf dem Spiel. Beides war ihnen bis jetzt treu geblieben, und das durfte er nicht verlieren.
»Bedeutet es nichts, daß wir immer für die Stephanowas dawaren, daß du bei uns dein Zuhause hattest?« Er versuchte Schuldgefühle in ihr zu wecken. »Ist Treue für dich ein leeres Wort?«
»Treue?« schnaubte Maria verächtlich. »Meine Treue hast du schon vor Jahren verloren. Du hast mich be-droht, Iwan, weil meine Tochter wegging. Oder dachtest du, diese Alte vergißt das wieder? Seitdem brachte ich dir nur noch Gleichgültigkeit entgegen, außerdem gab es keine andere Gruppe, der ich mich gerne angeschlossen hätte. Jetzt stehen wir wieder an einem Scheideweg. Laßt sie gehen und haltet sie nicht auf.«
»Maria ...«
»Nein«, unterbrach sie ihn scharf. »Es gibt nichts mehr zu sagen, bis auf eines.
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