Malory
hast und uns teilhaben läßt.«
Sir William errötete und murmelte Unverständliches, woraufhin die drei alten Damen verstohlen kicherten.
Anastasia, die sie beobachtet hatte, unterdrückte ein Lächeln.
Auf dem Weg nach London hatte sie viel von diesen Damen gehört. Es waren liebe Freundinnen von William, die er seit seiner Kindheit kannte. Sie waren ungefähr in seinem Alter und führten noch ein reges Ge-sellschaftsleben. Seinen Wahlschwestern, wie er sie liebevoll nannte, lag offenbar ebensoviel an ihrem treuen Freund.
Victoria Siddons war Witwe – zum vierten Mal. Ihr letzter Ehemann hatte ihr ein großes Vermögen nebst eindrucksvollem Adelstitel hinterlassen, so daß sie seit vielen Jahren zu den angesehensten Gastgeberinnen Londons gehörte, was auch jetzt noch zutraf. Sie hatte oft Gäste, und Einladungen in ihr Haus waren sehr begehrt.
Rachel Besborough war ebenfalls Witwe, wenn auch nicht so vielfach wie Victoria. Sie war fünfzig Jahre lang mit ein und demselben Marquis verheiratet, bis er das Zeitliche segnete. Durch ihre vielen Kinder und deren Nachwuchs hatte sie eine ziemlich große und lebhafte Familie um sich geschart. Obwohl keines der Kinder mehr bei ihr im Haus lebte, widmete sie den Großteil ihrer Zeit den Angehörigen.
Elizabeth Jennings war niemals verheiratet und bezeichnete sich kichernd als die älteste Jungfrau Englands. Da sie Rachels älteste Schwester war, brauchte sie sich nicht über mangelnden Familienanschluß zu beklagen.
An diesem Morgen hatten sie sich alle in Lady Victorias weiträumigem Salon in ihrem Haus in der Bennet Street versammelt, in dem William und Anastasia bereits eine Woche seit ihrer Ankunft in London wohn-ten. Anastasia stand auf einem Stuhl und unterzog sich der hoffentlich letzten Anprobe durch Victorias Schneiderin, die ihr im Auftrag Sir Wilhams eine beinahe komplette Garderobe anfertigte.
Die Damen warteten nur noch auf die Fertigstellung der Kleider, um Anastasia auf die Londoner Gesellschaft ›loszulassen‹. Lady Rachel hatte eine Liste der mondänen Treffpunkte zusammengestellt – die sie übrigens täglich ergänzte -, an denen sich Anastasia ›zeigen‹ mußte. Lady Elizabeth wiederum hatte Namen und Anschrift der einflußreichsten Klatschbasen Londons notiert, von denen sie bereits einige aufgesucht hatte.
»Es gibt nichts Spannenderes, als eine Bühne samt Ku-lisse aufzubauen«, berichtete sie zufrieden von ihrem ersten Besuch in der Gerüchteküche einer der gefürch-tetsten Londoner Klatschbasen. »Lady Basscomb platzt vor Neugier. Sie kann es kaum erwarten, dich morgen kennenzulernen, mein Engel, und sie wird dafür sorgen, daß es ihren Freundinnen ebenso ergeht. Ich schwöre, daß sie an einem einzigen Tag mindestens vierzig Damen der tonangebenden Gesellschaft zusam-mentrommeln kann. Fragt mich nicht, wie, aber sie kann es.«
Sie waren übereingekommen, daß es nicht schaden könnte, zusätzlich ein wenig Verwirrung zu stiften, um die Neugier weiter zu schüren. So erzählte Elizabeth jeder Klatschbase, die sie besuchte, eine völlig andere Geschichte über Anastasia. Einmal deutete sie an, die Mutter ihres Schützlings sei Sir Williams jüngere Schwester, die in ihrer Jugend tatsächlich durchge-brannt und nie wieder nach England zurückgekehrt war. So enthielt jede Geschichte, die sich um Anastasias Vergangenheit rankte, immerhin ein Körnchen Wahrheit.
An einem Abend ergab es sich, daß die drei Damen erst weit nach Mitternacht ins Bett fanden. Sie hatten einen höllischen Spaß, die verschiedensten Lebensläufe für Anastasia zu erfinden. Einmal war sie die Tochter eines unehelichen Thronerben in Osteuropa, ein anderes Mal die Tochter eines reichen indischen Skla-venhändlers und dann, der Wahrheit entsprechend, die Tochter eines russischen Prinzen. All dies wurde den Klatschtanten auf Elizabeths Liste natürlich nur unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut.
Williams Aufgabe war es, herauszufinden, wann der Marquis in London eintraf, welche Gewohnheiten er hatte oder zumindest, wie sein Tagesablauf üblicher-weise verlief. Letztendlich diente der ganze Plan einzig und allein dem Zweck, Christopher Malory zu seinem Glück zu verhelfen. Allerdings bliebe das wohlge-meinte Vorhaben erfolglos, wenn dem jungen Lord nicht die Gerüchte zu Ohren kamen, die die Freunde über ihren Schützling verstreut hatten, und wenn er die neue Anastasia nicht in ihrer eleganten Garderobe erblickte.
Nachdem die Bühne für Anastasias
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