Malory
des alten Gemäuers gewarnt, aber sie lachte nur und erklärte, daß dies sehr leicht zu beheben sei.
»Ich werde eine Armee von Handwerkern bestellen«, versprach er ihr. »Es wird hoffentlich nicht allzu lange dauern, um diesem Mausoleum Leben einzuhau-chen.«
»Das wirst du nicht tun«, meinte sie mit gespielter Strenge. »Wir werden alles selbst machen, damit es unser Heim wird, wenn es fertig ist. Ein Heim, das wir uns selbst geschaffen haben.«
Selbst einen Pinsel in die Hand nehmen? Einen Hammer halten? Christopher wurde allmählich bewußt, wie sehr diese Zigeunerin sein Leben verändern wür-de. Doch er freute sich auf jeden Augenblick dieses Lebens.
Kapitel Sechsundzwanzig
E s war ihr erstes Weihnachten in Haverston. Bisher hatte Christopher die Feiertage stets in London verbracht – schließlich war dies der Höhepunkt der Sai-son. Dieses Jahr reizte ihn London überhaupt nicht.
Wenn er ehrlich war, verspürte er nicht einmal das Be-dürfnis, zu einem gesellschaftlichen Anlaß nach London zurückzukehren. Alles, was er sich wünschte, alles, was er liebte, befand sich in Haverston.
Das Haus hatten sie immer mehr verschönt, obwohl es noch lange nicht fertig war. Sie mußten ihre Um-gestaltungsarbeiten drosseln, seit Anastasia schwanger war. Die wichtigsten Räume waren bereits soweit wiederhergestellt und eingerichtet, daß sie eine traute Wärme ausstrahlten, die nichts mit der Jahreszeit zu tun hatte, obwohl sie in weihnachtlichem Schmuck prangten.
Für Anastasia war es das erste englische Weihnachtsfest und eine neue, wunderschöne Erfahrung. Bei ihren Leuten bestand Weihnachten vor allem darin, in kürzester Zeit so viele Städte wie möglich abzufahren, weil die Menschen in diesen Tagen viel Geld für Geschenke ausgaben, die ihnen die Zigeuner in Hülle und Fülle anbieten konnten. Das bedeutete aber, daß sie nie lange genug an einem Ort blieben, um diese Tage festlich zu begehen, einen Baum zu schmücken oder einen Kranz aufzuhängen. Das war Sache der Gajos. Zum Glück galt dies für Anastasia nun nicht mehr.
Mit Hilfe der Dienstboten hatte sie die vielen Kisten ausgepackt, die Christopher aus Ryding kommen ließ.
Sie waren mit altem Christbaumschmuck gefüllt, der sich seit Generationen in der Familie befand. Gemeinsam hatten sie ihn im ganzen Haus verteilt. Christopher selbst hatte sich eine angenehme Aufgabe gestellt, die er mit großem Eifer verfolgte. In jedes Zimmer hing er Mistelzweige auf und fand die dümmsten Vorwände, seiner Frau bei jeder Gelegenheit darunter auf-zulauern.
Für alle Angestellten besorgte Anastasia Geschenke, die sie selbst verteilte. Am Heiligen Abend unternahm sie auch die erste Schlittenfahrt ihres Lebens. Zu Beginn der Woche hatte es zu schneien begonnen, und die Felder und Wege lagen jetzt unter einer dicken Schneedecke. Es machte Spaß, trotz der beißenden Kälte. Sie blieben nicht lange unterwegs, da ein großer Teil der Dienerschaft im Haus blieb und sie erwartete.
Bei ihrer Rückkehr empfing sie der gemütliche Salon mit wohltuender Wärme.
Dort verbrachten sie auch den Rest des Abends. Sie sa-
ßen auf dem Sofa neben dem Feuer, in dem ein riesiges Weihnachtsscheit brannte, und blickten auf die kleinen flackernden Kerzen am Tannenbaum, den Christopher eigenhändig im Wald gefällt hatte.
Anastasia fühlte großen Frieden in sich trotz des unbe-stimmten Gefühls, das ihr seit etlichen Tagen keine Ruhe ließ. Sie mußte versuchen, es ihrem Mann zu er-klären. Es schien nichts mit ihrem vertrauten ›Talent‹, ihren hellseherischen Fähigkeiten, zu tun zu haben, aber dann wieder doch.
Sie war jetzt im vierten Monat schwanger. Man sah es ihr noch nicht an, auch merkte sie selbst noch nichts davon bis auf das morgendliche Unwohlsein, das sie ab und zu plagte. Doch fühlte sie sich ihrem ungeborenen Kind so nahe, als ob sie es bereits in den Armen halten würde. Und das Gefühl, das in ihr aufgekeimt war, hatte mit ihm zu tun und wiederum nicht ausdrücklich mit ihm.
Das beste wäre, das Gefühl in Worte zu kleiden, die einen Sinn ergaben. Und das versuchte sie Christoph jetzt verständlich zu machen. »Wir werden noch ein weiteres Geschenk bereitstellen müssen, auch wenn wir es nicht verschenken werden.«
Er hatte einen Arm um sie gelegt. Mit der freien Hand strich er zärtlich über ihre Schulter. Er drehte den Kopf zu ihr und meinte verwundert: »Das verstehe ich nicht.«
»Ich auch nicht«, mußte sie zugeben. »Es ist nur ein Gefühl, das
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