Malory
einen Eimer mit Wasser fand, spritzte sie es sich selbst ins Gesicht. Dann suchte sie eine Stelle an Deck, die nicht allzu windig war, und rollte sich unter ihrer Decke zusammen, um noch etwas Schlaf zu bekommen. Das war zwar nicht sehr gemütlich, doch in der Kapitänskabine herrschte ei-ne andere Art von Ungemütlichkeit, gegen die sie gar kein Mittel hatte, daher zog sie alles andere vor.
Ohr stupste an Gabrielles Fuß, der unter der Decke hervor-ragte, die sie mit an Deck gebracht hatte. Verschlafen schaute sie zu ihm hoch und er reichte ihr die Hand, um ihr aufzuhel-fen. Sie hatte in der Nacht viel zu wenig Schlaf bekommen, um gleich wieder klar bei Verstand zu sein.
»Harte Nacht gehabt?«, fragte er.
Das schien ihr, angesichts der Tatsache, dass Ohr sie schlafend an Deck gefunden hatte, eine logische Frage zu sein.
Doch es beschrieb noch nicht einmal im Ansatz, was der Kapitän dieses Schiffes ihr mit seinem Liebesgeflüster gestern Nacht zugemutet hatte.
Allerdings entgegnete sie bloß: »Der Kapitän ist zu – ach, du meine Güte, ich wollte Kabine sagen. Die Kabine ist zu heiß geworden, deshalb wollte ich eine Weile frische Luft schnappen. Ich muss eingeschlafen sein, ehe ich abgekühlt war.«
»Bist du sicher, dass du nicht mit uns die Kabine tauschen willst?«, fragte Ohr.
»Oh, das würde ich gern tun, ja!«
Gabrielle lief rot an. Sie hatte zu hastig geantwortet, noch dazu nach dem Versprecher, den sie sich soeben geleistet hatte.
Wie peinlich!
Ohr tat jedoch, als hätte er nicht bemerkt, wie verzweifelt sie sich angehört hatte. Aber so war er eben. Selbst wenn er haargenau wusste, was sie dachte, würde er es nicht sagen oder es sich am Gesicht ablesen lassen. Darin, seine Züge unter Kontrolle zu halten, war er sehr wahrscheinlich ebenso gut wie James Malory.
Doch das war Gabrielle im Augenblick völlig egal. Ihr ging es ganz allein darum, nie wieder eine dermaßen aufwühlende Erfahrung machen zu müssen. Mein Gott, wie unglaublich dämlich sie gewesen war zu glauben, sie brächte es fertig, mit diesem dreisten Amerikaner im selben Zimmer zu nächtigen.
Er war viel zu hübsch. Selbst im Dunkeln, wenn sie ihn gar nicht sehen konnte, war er sündhaft verführerisch und seine lockende Stimme allzu aufreizend. Sie hatte nicht geahnt, dass es überhaupt möglich war, allein von Worten derart erregt zu werden.
Die augenblickliche Einteilung konnte einfach nicht funktionieren. Sie musste die Oberhand behalten, wenn sie es ihm heimzahlen wollte. Sogar in Ketten war er gestern Nacht derjenige gewesen, der die vollständige Kontrolle gehabt hatte.
Er hatte dafür gesorgt, dass ihre Sinne sich regten, er hatte ihr Verlangen geweckt. Dabei wollte sie ihn verführen! Wie sollte sie das aber schaffen, wenn sie wegen der Gefühle, die er in ihr wachrief, keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte? Dabei ging es ihm zweifellos nur darum, sein Schiff zu-rückzubekommen.
Gabrielle verbannte Drew aus ihren Gedanken und fragte Ohr: »Hast du noch etwas Schlaf bekommen nach der Aufregung, die wir gestern Nacht mit Sawyer hatten?«
»Ein paar Stunden, mehr brauche ich nicht. Ich werde jetzt das Steuer übernehmen – oder möchtest du?«
Ohr meinte es ernst. Das Schiff zu steuern, war eins der Dinge, die ihr Vater sie gern gelehrt hatte, wenn sie zusammen unterwegs waren. Sie hatte zwar nicht genug Kraft in den Armen, um das Steuer sehr lang oder gar bei schlechtem Wetter zu übernehmen, doch der Morgen war wunderschön klar und der Wind blies stetig, daher nickte Gabrielle und folgte Ohr zum Achterdeck.
Dort ließ er sie allein. Fast hätte Gabrielle ihn zurückgeru-fen. Sie wusste, worüber sie in ihrer Einsamkeit am Ende nachdenken würde – über ihn –, daher war sie erleichtert, als Richard sich wenige Minuten später zu ihr gesellte.
»Normalerweise macht es mir nichts aus, keine Frau zu haben«, sagte Richard.
Er saß mit dem Rücken ans Steuer gelehnt, daher schaute er Gabrielle nicht an. Bis dahin hatte er über dies und jenes ge-plaudert, meist Belangloses. Dann kam diese Bemerkung aus heiterem Himmel und Gabrielle wusste nicht, wie sie reagieren sollte, denn sie hatte keine Ahnung, worauf sie sich bezog.
Also blieb sie stumm und hoffte, sich schlicht verhört zu haben. Doch damit hatte sie kein Glück.
»Es ist dein Fehler, weißt du?«, fuhr Richard fort. »Wenn du gestern nicht versucht hättest, mich zu küssen, hätte ich gar nicht mehr an sie gedacht.«
Ach du lieber Himmel, es
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