Malory
konnte, und das machte sie so nervös.
Als sie endlich ihren ganzen Mut zusammennahm und nach einer kurzen Erklärung ihr Anliegen vorbrachte, konnte der Mann ihr hektisches Gestotter kaum verstehen, doch schließlich begriff er doch, was sie von ihm wollte, und ging auf sie zu, während er seine Hose hochzog.
»Ein Pferd brauchen Sie? Das hätten Sie gleich sagen sollen, Miß. Und ich dachte schon, daß mein guter alter Freund Zeke mir ein wirklich tolles Geburtstagsgeschenk geschickt hat. Ein Pferd also?« Er schüttelte kichernd den Kopf. »Nichts für ungut, Miß, aber bei sowas läuft doch jedem das Wasser im Mund zusammen.«
Rot vor Zorn und Scham, unterbrach Roslynn sein Ge-lächter. »Können Sie mir nun ein Pferd vermieten oder nicht?«
»Zwei sind noch da, aber beide taugen nicht viel. Die guten Gäule gehen immer zuerst weg.«
»Würden Sie das hier als Sicherheit annehmen?« Sie nahm das Kreuz ab und überreichte es ihm. »Es ist bestimmt mehr wert als alle Pferde, die Sie im Stall haben.
Aber ich will es zurückhaben. Ich lasse den Gaul später zurückbringen, und dann bekommen Sie auch Ihr Geld.«
Er betrachtete das Kreuz von allen Seiten und hatte sogar die Frechheit, darauf zu beißen, bevor er mit dem Kopf nickte. »Ja, das tut's.«
»Ein Paar Schuhe könnten Sie mir nicht zufällig auslei-hen?«
Er warf einen Blick auf ihre zarten Füße und schnaubte belustigt. »Kaum, Miß. Meine Kinder sind alle schon erwachsen und aus dem Haus.«
»Verzweifelt fragte sie: »Haben Sie dann wenigstens vielleicht
einen
Mantel oder
sonst
etwas zum
Anzie-
hen?«
»Nun, damit könnte ich Ihnen dienen. Und das ist auch zu empfehlen, denn sonst gibt's auf den Straßen einen Menschenauflauf.«
Roslynn war viel zu erleichtert, um sich über sein Ge-lächter zu ärgern, als er den Klepper holen ging.
Kapitel 15
Die Dunkelheit brach herein. Eigentlich hätte sie nach einem nur halbstündigen Ritt in Mayfair sein müssen, aber sie hatte sich im Straßengewirr verirrt und un-zählige
Umwege
gemacht,
bis
sie
nach
drei
Stunden
endlich in eine ihr vertraute Gegend kam. Ihre Nerven
waren
inzwischen
zum
Zerreißen
gespannt,
aber
sie sagte sich, daß die Dunkelheit für sie eigentlich von
Vorteil
war,
weil
dadurch
die
Gefahr
verringert
wurde,
auf
der
South
Audley
Street
von
Frances'
Nachbarn
erkannt
zu
werden.
Eine
ausgezeichnete
Tarnung
war
außerdem
die
große
Kapuze
des
alten
mottenzerfressenen
Umhangs,
den
der
Mann
im
Stall
ihr überlassen hatte.
Sie wünschte sehnlichst, daß dieser schreckliche Tag für sie bald zu Ende wäre, aber davon konnte überhaupt keine Rede sein. Sie durfte nicht riskieren, auch nur eine weitere Nacht unter Frances' Dach zu verbringen. Und sie durfte ihre Heirat nicht mehr auf die lange Bank schieben. Daß Geordie sie so schnell ausfindig gemacht hatte, änderte ihre Situation von Grund auf. Sie rechnete sogar damit, daß er sie auf der Schwelle von Frances'
Haus abfangen und in eine Kutsche zerren würde.
Das war jedoch zum Glück nicht der Fall. Und zum Glück war Frances nicht zu Hause. Roslynn wußte, daß die Freundin ihre Pläne nicht gebilligt hätte, und sie hatte jetzt wirklich keine Zeit für lange Debatten.
Hingegen
mußte
Nettie
selbstverständlich
eingeweiht
werden.
Nachdem
Roslynn
einen
Knecht
damit
beauf-
tragt hatte, den Klepper zurückzubringen und ihr Kreuz auszulösen, mußte sie den Butler und andere aufgeregte Dienstboten beruhigen und ihnen versichern, daß alles in
Ordnung
sei;
ohne
nähere
Erklärungen
abzugeben,
eilte sie sodann nach oben auf ihr Zimmer, wo Nettie ru-helos auf und ab lief. Roslynn hatte ihre Zofe noch nie so verhärmt
gesehen,
doch
schon
im
nächsten
Moment
spiegelte Netties Gesicht ungläubiges Staunen und grenzenlose Erleichterung wider.
»Ach, Mädelchen, ich bin vor Sorge um dich fast gestorben!« Fast im selben Atemzug begann sie zu schimp-fen: »Wo, zum Teufel, hast du nur gesteckt, kannst du mir das mal verraten? Ich dachte schon, dein Vetter hätte dich geschnappt.«
Unter normalen Umständen hätte Roslynn über Netties
raschen
Stimmungsumschwung
schallend
gelacht,
und sogar jetzt ließ ihre nervliche Anspannung zum erstenmal an diesem schrecklichen Tag ein wenig nach.
Aber sie durften keine Zeit vergeuden. In dem Bewußtsein, daß jede Sekunde kostbar war, eilte sie zu ihrem Kleiderschrank, während sie ihrer Zofe über die Schulter hinweg
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