Malory
zurief: »Das hat er auch! Und jetzt hilf mir rasch beim Ankleiden, Nettie. Dabei erzähle ich dir alles.«
Nettie unterbrach den Bericht nur einmal mit einem ungläubigen »Du hast was getan?«, als Roslynn schilder-te, wie sie aus dem Fenster gesprungen war, und nachdem sie geendet hatte, stand der Zofe wieder die Angst im Gesicht.
»Du kannst nicht länger hierbleiben«, erklärte sie reso-lut.
»Ich weiß«, erwiderte Roslynn. »Wir verlassen dieses Haus noch heute abend - aber nicht zusammen.«
»Aber...«
»Hör zu«, fiel Roslynn ihr ungeduldig ins Wort. »Ich hatte den ganzen Nachmittag Zeit zum Nachdenken. Geordie kann in Zukunft mit offenen Karten spielen, und ich halte es für durchaus möglich, daß er bei seinem nächsten Versuch, mich zu entführen, auch vor Gewalt-anwendung nicht zurückschreckt, und ich möchte nicht, daß jemand verletzt wird. Ich habe so ewig lange ge-braucht, um nach Hause zu gelangen, daß er mir ohne weiteres hier hätte auflauern können. Aber wahrscheinlich hat er geglaubt, daß ich ohne Geld und Kleider nicht weit kommen würde.«
»Du meinst also, daß er noch immer in jener Gegend nach dir sucht, wo du ihm entkommen bist?«
»Durchaus möglich. Vielleicht legte er sich aber auch schon einen neuen Plan zurecht. Wir müssen damit rechnen, daß er dieses Haus observieren läßt. Ich habe vorhin zwar niemanden gesehen, aber das besagt nicht viel. Wir müssen
auf
jeden
Fall
gewisse
Vorsichtsmaßnahmen
treffen. Deshalb werden wir gleichzeitig losfahren - aber in
verschiedene
Richtungen.
Damit
stiften
wir
Verwir-
rung.«
»Aber wohin sollen wir denn überhaupt fahren?«
Endlich
huschte
ein
Lächeln
über
Roslynns
Gesicht.
»Zurück nach Silverley. Dort wird er uns nicht finden.«
»Woher willst du das wissen?«
»Die Männer, die mich aus der Oxford Street entführen wollten, haben in Geordies Auftrag gehandelt. Er wußte, wo ich mich aufhielt, aber offenbar wurde das Haus an jenem Morgen, als ich in aller Herrgottsfrühe losgeritten bin, nicht observiert. Als Geordie dann merkte,
daß
ich
verschwunden
war,
haben
seine
Männer
überall nachgeforscht, aber die Spur endete bei jenem Gasthof, wo wir uns getroffen hatten. Wenn wir also öf-fentliche Plätze meiden und uns vergewissern, daß wir nicht verfolgt werden, müßten wir auf Silverley in Sicherheit sein.«
»Aber es nutzt dir im Endresultat nicht viel, dich irgendwo zu verstecken, Mädchen. Erst wenn du verheiratet bist, wirst du vor diesem Dreckskerl wirklich in Sicherheit sein.«
»Das weiß ich, und deshalb werde ich dem Mann meiner Wahl eine Nachricht zukommen lassen und ihn bitten, mich auf Silverley zu treffen. Dort werde ich ihm einen Heiratsantrag machen, und wenn alles gut geht und Regina nichts dagegen hat, könnte auch die Hochzeit dort stattfinden.«
Netties Brauen schossen in die Höhe. »Dann hast du dich also entschieden, welchen der Herren du heiraten willst?«
»Ich werde meine endgültige Entscheidung unterwegs treffen«, erwiderte Roslynn kurz angebunden und wech-selte rasch das Thema. »Das Wichtigste ist im Augenblick, nach Silverley zu kommen, ohne Spuren zu hinterlassen. Einer der Dienstboten ist schon unterwegs, um uns zwei Mietkutschen zu besorgen.«
»Und was ist mit Brutus?« fragte Nettie, und im nächsten Moment fiel ihr Blick auf Roslynns vollen Kleiderschrank. »Und mit deiner Garderobe? Wir haben keine Zeit zum Packen...«
»Die Sachen müssen eben hierbleiben, bis ich verheiratet bin, Nettie. Einige wenige Kleidungsstücke nehmen wir jetzt mit, und ich bin sicher, daß Regina eine gute Schneiderin hat, die uns anfertigen kann, was wir sonst noch benötigen. Ich muß nur noch schnell eine Nachricht für
Frances
hinterlassen,
dann
können
wir
aufbrechen.
Wo steckt sie eigentlich?«
Nettie gab einen Grunzlaut von sich. »Nachdem sie den ganzen Morgen händeringend rumgelaufen ist wie ein Tiger im Käfig, hat eines der Dienstmädchen er-wähnt, es hätte einen Bruder, der einen Burschen kennt, der weiß, wie man an Leute herankommt, die dich schneller finden würden als die Polizei...«
»Polizei!« rief Roslynn entsetzt, hatte sie doch um jeden Preis einen Skandal vermeiden wollen. »Verdammt, sie wird mich doch nicht als vermißt gemeldet haben?«
Nettie schüttelte rasch den Kopf. »Sie war allerdings nahe daran, weil sie sich solche Sorgen machte, aber ihr war klar, daß die Sache dann an die Öffentlichkeit dringen würde und das Gerede
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