Maltas Geheimnis
gemacht. Hunger hatte sie ohnehin …
Noch ehe sie so richtig mitbekam, was geschah, hatte sie Raul am Arm genommen, sich eingehakt und gemeinsam gingen sie los. Sie konnte gar nicht anders, als mitgehen.
»Tolle Idee. Ich hab´ auch Hunger. Ich kenn´ hier gleich in der Nähe ein tolles, echt maltesisches Lokal. Wie heißt du eigentlich?«
»Alisha«, antwortete sie, und schon war ihre Selbstsicherheit wieder verschwunden. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte also hielt sie den Mund.
Fast willenlos ließ sie sich führen. Kurze Zeit später saßen sie in einer kleinen Gaststube, in der nur wenige, ältere Einheimische saßen, die sie niemals alleine gefunden hätte und in der Raul scheinbar bestens bekannt war.
»Zwei Mal von deinen Spezial-Braggioli und dazu 2 Pint Cisk!«, bestellte er beim Wirt, ohne sie zu fragen.
Woher wusste er, dass sie Braggioli so gerne aß? Diese Roulade, die mit Hackfleisch und Kräutern gefüllt, mit einer leckeren Rotweinsoße übergossen und meistens mit frischem Gemüse und Kartoffeln serviert wird, war ein Gedicht. Allerdings Cisk, ein einheimisches Bier, hätte er sich sparen können. Sie zog Cola vor. Noch ehe sie deswegen etwas sagen konnte, schlug der Wirt Raul leicht auf die Schulter und meinte mit tiefster Baritonstimme in maltesischer Sprache »Holla Raul, mein Junge. Seit wann nimmst du denn solche flotten Käfer mit in die Gruft?«
Der Wirt lachte über seine eigene Bemerkung polternd los, Rauls Mine verfinsterte sich und Alisha fühlte Wut in sich aufsteigen.
In Maltesisch fuhr sie den Wirt an »Seit dem solche flotten Käfer jedes Wort verstehen und außerdem kein Cisk mögen. Ich hätte gerne eine Cola!«
Als sie die Reaktion des Wirts sah, war die aufkeimende Wut auch schon wieder verflogen. Das polternde Lachen stoppte, als hätte ihn ein Pferd vor die Brust getreten. Die Augen weiteten sich und die Lippen formten Worte, die nicht heraus wollten.
Auch die anderen Gäste hatten den Wortwechsel mitbekommen, waren zuerst ebenfalls verdattert und verstummten, fingen sich allerdings schneller als der Wirt wieder und begannen schallend zu lachen und auf den Tisch zu trommeln.
»Du schleppst wohl andauernd Bräute in dieses Lokal?«, wandte sich Alisha wieder an Raul. »Ist das deine Masche?«
Nach einem kurzen Zögern antwortete er »Ja, nur dass bisher sämtliche Bräute so ab sechzig Lenze aufwärts zählten und meistens in Begleitung von ähnlich alten Männern waren.«
Der Wirt stand immer noch wortlos da, die Gespräche im Lokal blieben weiterhin leise, die Blicke auf sie gerichtet. Die anderen Gäste schienen nichts verpassen zu wollen. Rauls Antwort tat ihr richtig gut, obwohl es ihr doch gleichgültig sein konnte, mit wem er wohin ging.
Danach konnten sie kein privates Wort mehr sprechen. Sämtliche Gäste setzten sich zu ihnen und wollten wissen, wieso sie ihre Sprache beherrschte. Also erzählte sie ihre Story und genoss es, die Sensation zu sein. Das Essen war das erwartete Gedicht und die Stunden verflogen im Nu.
Als sie bezahlen wollte, tat der Wirt auf beleidigt. Sie seien seine Gäste gewesen und so etwas habe er noch nie erlebt und werde er auch nie wieder erleben und sie sollen unbedingt bald wieder kommen.
Der einzige Wermutstropfen der vergangenen Stunden war, dass Raul fast nichts mehr gesagt hatte. Sie war der Mittelpunkt der kleinen Gesellschaft gewesen und er hatte als Beobachter an der Seite gesessen.
»Was war denn mit dir los, Raul?«, fragte sie ihn, als sie wieder auf der Straße waren. »Warum hast du dich nicht an der Unterhaltung beteiligt?«
»Ich glaube, wir kennen uns«, erwiderte er nachdenklich.
Da war es wieder, das Gefühl, ihn ebenfalls zu kennen. Nur woher?
»Wie kommst du darauf?«
»Du hast vorhin erzählt, dass du bei dem Ehepaar El Zoufin in Rabat zehn Monate gelebt hast. Mein Name ist Raul Rallini und meine Familie lebt ebenfalls in Rabat. Nur auf der anderen Seite der Stadt. Trotzdem hab´ ich dich damals einige Male gesehen, aber du hast mich scheinbar nie bemerkt.«
Richtig! Es fiel ihr wieder ein: Sie hatte ihn sehr wohl bemerkt. Allerdings hatte sie nicht gedacht, dass auch er sie bemerkt hatte.
»Warum hast du mich dann damals nicht angesprochen?«
Er schaute sie sichtlich entsetzt an.
»Hast du so wenig von unseren Sitten und Gebräuchen hier gelernt? Dich ansprechen? Malta mag zwar offiziell englisch dominiert sein und Englisch eine der beiden Regierungssprachen, aber die Sitten sind nicht so
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