Maltas Geheimnis
den Boden stieß. Mit einem Reflex stieß sie Julia beide Füße in den Unterleib und schrie dabei wie besessen. Sie hörte ihre eigene Stimme wie die einer Fremden. Aber auch Julia kreischte und sie erwartete schon die nächsten Schläge, die jedoch ausblieben. Kräftige Männerarme hatten Julia von weiteren Aktionen abgehalten. Auch sie hätte nichts mehr unternehmen können, denn sie wurde weggezogen und wieder auf die Beine gestellt. Die beiden jüngeren Männer hatten auf ihre Weise den Kampf beendet.
Alisha kam sich so blöd vor. Sie konnte es nicht verhindern, dass Tränen über ihr Gesicht liefen. Tränen der Wut, darüber dass sie die Nerven verloren hatte und der Angst um Axel und Jens.
Heftig schüttelte sie die Hände des Mannes ab, der sie festhielt und verließ fluchtartig den Fitnessraum. Weit hinter sich hörte sie Julia noch rufen »Geschieht dir recht, du dumme Kuh. Sei froh, dass ich dich nicht…«
Alisha lief in ihr Zimmer, warf sich aufs Bett und begann zu heulen, wie sie es schon seit ihrer Kindheit nicht mehr getan hatte. Die Tränen liefen ihr in Bächen über die Wangen und sie schluchzte haltlos. Nachdem die letzten Tränen getrocknet waren, beruhigte sie sich wieder ein wenig und begann nachzudenken. Nach einer Weile hatte sie einen Entschluss gefasst: Wenn Axel und Jens nicht bis morgen Abend zurück waren, würde sie die Polizei benachrichtigen. Bis dahin würde sie das Zimmer nicht mehr verlassen. Der Musikabend für die Hotelgäste war ihr nun völlig egal.
* * *
Die Nacht war schrecklich gewesen. Mehrmals hatte sie sich unter die Dusche gestellt – aber auch das hatte nicht geholfen. Der Schlaf war immer nur stundenweise gekommen und immer wieder mit Albträumen durchsetzt gewesen.
Am nächsten Morgen fühlte sie sich wie gerädert und blieb im Bett liegen. Sie hatte nicht den geringsten Hunger und wollte auf keinen Fall Julia begegnen.
Es war so gegen elf Uhr, als es kräftig gegen die Tür klopfte. Erschrocken fuhr sie hoch. »Mein Gott! Das ist die Polizei, die dir mitteilen will, dass Axel und Jens tot oder verletzt aufgefunden wurden!«, ging es ihr durch den Kopf.
Mit diesen wirren Gedanken öffnete Alisha die Tür einen kleinen Spalt. Davor stand allerdings kein Polizist, sondern die Mitarbeiterin des Hotels, die sie seinerzeit in den Speiseraum für Angestellte geführt hatte.
»Du sollst sofort zum Direktor kommen. Er will dich sprechen. Aber schnell! Ja!«
Nach dieser Botschaft drehte sich die Frau um und verschwand.
»Zum Hoteldirektor?«, murmelte Alisha vor sich hin, »das kann nichts mit dem Wegbleiben von Axel und Jens zu tun haben. Was will er denn dann von mir? Gibt’s Ärger, weil gestern den Gästen nichts geboten wurde?«
Schnell zog sie sich an und machte sich notdürftig zurecht. Zehn Minuten später stand sie vor der Tür des Direktors, ganz oben in der zwölften Etage. Schüchtern klopfte sie an und wartete auf eine Aufforderung, einzutreten. Sie kam umgehend, lautstark.
Als sie den Raum betrat, sah sie sich einem riesigen, überladenen Schreibtisch gegenüber, hinter dem ein fettleibiger, ihr bisher unbekannter Mann mit wichtiger Mine und einem gewaltigem Doppelkinn saß. Vor dem Schreibtisch stand Julia, unentwegt das Gewicht von einem Bein auf das andere verlagernd. Alisha sah das als pure Unsicherheit an. Ein Blick in Julias Gesicht bestätigt und ließ sie innerlich triumphieren. Nicht nur weil Julia unsicher zu sein schien – das war sie selbst ja auch – sondern weil ihre Kontrahentin ein blaues Auge hatte, was auch das beste Make Up der Welt nicht verdecken konnte.
»Was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht?«, fuhr sie der Direktor harsch an. »Vor unseren Gästen ihre Freundin anzugreifen und sich zu prügeln. Das dulde ich bei meinen Angestellten nicht!«
Alisha blickte bei diesem verbalen Frontalangriff an dem Dicken vorbei, auf ein breites Fenster, welches einen herrlichen Panoramablick auf die Bucht von Sliema zuließ. Was sollte sie auch sagen?
»Die Kuh hat einfach ohne Vorwarnung auf mich eingeschlagen«, antwortete stattdessen Julia.
»Also…?«, kam es nun fast schon drohend aus dem wulstigen Mund des Dicken, der sich etwas aus seinem Ledersessel erhoben hatte und mit beiden Händen sein überproportioniertes Gewicht auf der Schreibtischplatte abstützte.
»Ich… ich…«, begann Alisha zu stottern. Verdammt, warum stotterte sie denn jetzt? Es war zwar bestimmt nicht richtig gewesen, auf Julia einzuschlagen, aber
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