Maltas Geheimnis
schaute sie unschuldig an.
Er schien ihre Gedanken gelesen zu haben.
»Was soll ich nur machen? Ihm vertrauen? Wo könnte ich heute Abend denn sonst noch hin?«, ging es ihr durch den Kopf.
Es entwickelte sich nicht alles so, wie sie es sich vorgestellt hatte – aber hatte sie denn eine andere Wahl?
»Einverstanden. Aber wehe wenn du mir auch nur einen Zentimeter zu nahe kommst«, drohte sie ihm, eine Faust erhebend. Sie bemühte sich, ihre Unsicherheit nicht zu zeigen.
Der restliche Abend verging wie im Fluge. Sie unterhielten sich über Gott und die Welt und sie hätte dies noch liebend gerne bis zum nächsten Tag getan, wenn ihr nicht schon vor Mitternacht die Augen zugefallen wären.
Das Zubettgehen war eine kleine, umständliche Prozedur, ging aber letztendlich reibungslos vonstatten. Raul machte nicht das geringste Anzeichen, sich ihr nähern zu wollen.
* * *
Ein lauter Knall an der Wohnungstür ließ Alisha am folgenden Morgen hochschrecken. Die fadenscheinige Gardine ließ gedämpftes Licht herein und die Uhr zeigte an, dass es bereits kurz nach acht Uhr war. Ihre Mundhöhle fühlte sich pelzig an und sie hatte einen faden Geschmack im Mund, als sie Raul brüllen hörte »Was hast du mir da für einen Scheiß aufgetischt, Alisha?«
Zusammen mit diesen Worten hörte sie die Eingangstür wieder laut ins Schloss krachen und eine Zeitung flog in ihre Richtung. Sie wusste nicht, was er von ihr wollte – sie wusste in diesem Augenblick noch nicht einmal richtig, wo sie war.
Erst als die Zeitung auf dem Bett landete und aufgeschlagen liegen blieb, erinnerte sie sich wieder an alles. Sie setzte sich verschlafen auf und starrte Raul an. Dieser legte eine gefüllte Brötchentüte auf den Tisch, stapfte zum Fenster und riss die Gardine zur Seite. Es wurde deutlich heller und sie registrierte, dass es immer noch regnerisch war.
»Was ist denn mit dir los?«, murmelte sie etwas eingeschüchtert und schlaftrunken.
»Das kannst du dir doch vorstellen, oder?«
Er schien überhaupt keine Antwort von ihr zu erwarten. Als wäre sie nicht anwesend, nahm er den Geigenkasten hoch, öffnete ihn und holte die Geige heraus. Bedächtig hielt er sie in der Luft und schüttelte sie ein wenig. Kopfschüttelnd legte er sie wieder in den leeren Kasten zurück, verschloss ihn und stellte ihn an seinen Platz zurück. Danach nahm er sich den Rucksack vor.
Entsetzt, sprachlos schaute sie dem Treiben zu. Sie verstand nun überhaupt nichts mehr. Irgendetwas musste vorgefallen sein, als sie noch geschlafen hatte – und es musste mit der Zeitung zu tun haben, sonst hätte Raul sie nicht auf das Bett gefeuert. Sie griff nach danach, warf einen Blick darauf und zuckte zusammen. Sie glaubte ihren Augen nicht zu trauen.
»Mein Gott, das darf doch nicht wahr sein!«, rief sie in ihrer Muttersprache aus, um gleich darauf diesen Ausruf noch mal in Englisch zu wiederholen und in Maltesisch fortzufahren: »Sie ist doch nach Hause abgereist.«
Tränen schossen ihr in die Augen und sie schluchzte mit vorgehaltener Hand. Das durfte nicht wahr sein!
Sie strich mit der Hand über die Seite, als wollte sie den Artikel und das Bild wegwischen – ungeschehen machen.
»Was redest du denn für ein dummes Zeug?«, fuhr Raul sie an, während er den Parka zu durchsuchen begann.
Sie verstand gar nichts. Mit tränenverschleierten Augen sah sie ihn an.
»Warum durchsucht er meine Sachen? Was hat das mit dieser schrecklichen Nachricht zu tun? Drehen jetzt alle völlig durch?«
Noch einmal warf sie einen Blick auf den Artikel und wollte ihn vollständig durchlesen, als Raul ihr die Zeitung aus der Hand riss.
»Was redest du für ein dummes…«
Sie sah, wie sein Blick auf dem Artikel ruhen blieb, die Augen geweitet, ehe er fast in Zeitlupe weiter sprach .«…Zeug. Was ist denn das?«
»Durchsuchst du deswegen meine Sachen?«, fragte sie ihn. Er starrte wie in Trance auf die Zeitung, so als wäre er plötzlich in einer anderen Welt.
Nicht auf ihre Frage eingehend, las er stotternd vor HOTELDIREKTOR UND TOURISTIN VERUNGLÜCKT.
Der Direktor des Hotel Mediterrania, Victor Conzent, und die deutsche Touristin Julia J. sind mit dem Auto bei St. Julian´s Bay von der Küstenstraße abgekommen und in die Tiefe gestürzt. Das Fahrzeug brannte vollständig aus. Die Insassen konnten nur noch tot geborgen werden. Der Unfall muss sich in den Morgenstunden des Vortages ereignet haben. Alkoholgenuss als Unfallursache wird nicht ausgeschlossen. Die Polizei
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