Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig
seine Umgebung mit solch unnötigem Ballast zu schmücken? Vielleicht mochten das die Touristen?
Von meinem Fenster aus blickte ich auf einen Gardinenladen, in dem ein Schneider auf seiner ratternden Singer-Nähmaschine im Akkord bunte Stoffe verarbeitete. Ein Haus weiter wurden grüne und blaue College- und Schuluniformen wie am Fließband geschneidert. Ich wünschte mir, dass auch unsere Umoja-Kinder eines Tages eine eigene Schuluniform tragen würden oder zumindest die Kinder in Archer’s Post. Doch bislang gab es dort noch immer keine staatliche Schule. Eine
Kirche der Evangelikalen nebenan schien die hämmernden Nähmaschinen und die restliche Zivilisationskakofonie mit einer Dauerbeschallung dröhnender Gospelgesänge übertünchen zu wollen. Der Krach war unerträglich. Zu allem Überfluss knarrte auch noch mein Bett. Ich kam kaum zur Ruhe, schlief schlecht und hatte kaum Appetit.
»Ich will mich nicht mehr verstecken«, erklärte ich eines Morgens grimmig. »Ich muss hier raus.« Seit Tagen schauten Nagusi und ich nur noch durch die trüben Hotelfenster. Jetzt wollte ich es mit diesem lärmenden Moloch aufnehmen. Und so zogen wir los und marschierten staunend an Hochhausriesen mit spiegelnden Glas- und Stahlfassaden vorbei, hinter denen sich Banken und Versicherungen verbargen, aus denen mittags schlagartig gut gekleidete Angestellte strömten. Eigentlich lassen sich die vier Quadratkilometer Innenstadt leicht zu Fuß erforschen, doch die mehrspurigen großen Straßen flößten uns Respekt ein. Wir mussten uns regelrecht einen Ruck geben, sie zu überqueren, denn keiner schien die Verkehrssignale ernst zu nehmen und der Verkehr rollte unermüdlich an gelangweilten Polizisten vorbei.
Gnadenlos schob sich die Blechlawine über den sechsspurigen Uhuru Highway vorbei an zwei Bettlerinnen, die verzweifelt versuchten, die Fahrer der großen Karossen dazu zu bewegen, ihnen ein paar Münzen aus dem Fenster zuzuwerfen. Ein Poliokranker rutschte auf seinen dürren, verdrehten Gliedmaßen über den blanken Teer durch die stinkende Abgaswolke. Ein anderer ruderte auf seinem Rollstuhl durch den dichten Verkehr der Drei-Millionen-Metropole, sobald ein Fahrer an der Ampel sein Fenster herunterkurbelte. Der Anblick war beklemmend. »Keiner kümmert sich hier um den anderen«, flüsterte mir Nagusi entsetzt zu. »Die Menschen sind immer beschäftigt«, staunte sie. »Selbst beim Laufen tippen sie noch Nachrichten in ihre Handys oder telefonieren, während sie durch die Straßen hasten.« Fassungslos schauten wir auf die
Massen, die sich in teuren Anzügen und adretten Kleidern in die Bürogebäude, Ministerien, Geschäfte und Hotels der gehobenen Preisklasse pressten. Morgens strömten sie in die Megacity hinein und abends kehrten sie abgekämpft wieder zurück in die Vororte und Slums, in denen sie wohnten. Nachts war die pulsierende City wie ausgestorben.
Am nächsten Morgen riss mich das Telefon aus dem Schlaf. Mein Puls schnellte hoch. Panisch griff ich nach meinem Handy. Weitere Hiobsbotschaften konnte ich jetzt nicht verkraften. Es war Lucy – und sie hatte eine frohe Nachricht. Ich war erleichtert. Beim Workshop in Umoja hatten die Frauen viel Schmuck verkauft. Lucy hatte im sogenannten M-Pesa Point in Archer’s Post Geld eingezahlt und per Handy überwiesen. Jetzt müssten Nagusi und ich zu einem M-Pesa Point in Nairobi gehen und uns das Geld in bar abholen. Davon könnten Nagusi und ich uns eine ganze Zeit lang über Wasser halten. Fast jeder zweite Kenianer nutzt mittlerweile das sogenannte Mobilgeld. Wir kicherten und hofften, dass uns jemand das Prozedere erklären könnte.
Tagsüber gingen wir jetzt manchmal in ein Internetcafé um die Ecke und schickten den Frauen von Umoja und der Hilfsorganisation Vital Voices kurze Lebenszeichen. Sie alle setzten sich für mich ein. Manchmal nahm ich auch Bestellungen von Boutiquen für neuen Perlenschmuck entgegen und leitete diese per SMS an die Frauen nach Umoja weiter. Wir blieben mit ihnen so gut es ging in Kontakt. Ich versuchte, auch von Nairobi aus die Fäden in der Hand zu behalten.
Doch eines Morgens sichtete Nagusi wieder junge Samburus vor unserem Hotel, die bei den Fahrern in ihren Safarianzügen und den Händlern in ihren Läden Erkundigungen einzogen. Wir beschlossen sofort, das Hotel zu verlassen. Auch dieser Unterschlupf schien aufgeflogen zu sein. Wahrscheinlich hatte man uns gesehen und mein Mann hatte wieder eine gezielte Suche in Gang gesetzt.
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