Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig
die Ferne, in die herrliche Halbwüste der Samburus. An einem blauen Sommertag kann man dort bis zum Horizont schauen. Jeder Dornenbusch, jede Schirmakazie zeichnet sich ab. Die freudig meckernden Ziegen und die Hirten in ihren leuchtend blau-roten Shukas wirken wie bunte Federn, die durch die dornige Halbwüste schweben.
Hier in der Innenstadt von Nairobi konnte man seinen Blick nicht in die Ferne richten, er prallte an den Hochhäusern ab. Immer wieder schwebte Plastikmüll durch die Luft, die wie eine Glocke schwer über der Stadt hing. Wenn Nagusi und ich in unserem kleinen Refugium nicht über die guten alten Zeiten redeten, summten wir Lieder aus unserer Kindheit. Stundenlang schaute ich aus dem schmuddeligen Bau zwischen riesigen Werbeplakaten auf den dichten Verkehr, der sich laut hupend durch die enge Straße quälte. Zwischen stinkenden Sammeltaxis zwängten sich zerlumpte Träger mit ihren voll beladenen Karren durch das Gewühl und ein paar junge Samburu-Männer in traditionellen Tüchern schlichen umher, als seien sie auf der Pirsch. Normalerweise suchten sie Touristen,
um sich ihnen als Guide, als Touristenführer, anzubieten. Doch diese Morani stellten merkwürdig viele Fragen.
Jeden Abend legte sich die Dunkelheit schlagartig wie ein Schleier über die Stadt. Die Sonne versank in diesem Betondschungel völlig unspektakulär. Anders als in Archer’s Post, wo die Sonne wie in einem opulenten Gemälde in einem Feuerwerk an Farben in den Fluss taucht.
Nach tagelangem Einerlei riss mich der Klingelton meines Handys aus meinen Gedanken. Nagusi und ich schreckten hoch. »Ihr müsst da sofort verschwinden und ein neues Hotel suchen«, rief Nanyimoi, die nach Jahren als treues Hausmädchen längst zu einer Vertrauten geworden war. Sie hatte viele Konflikte und Gewaltausbrüche zwischen mir und meinem Mann miterlebt. »Warum?«, wollte ich wissen. Ich war verwirrt. »Es ist viel zu gefährlich, in dem Hotel zu bleiben«, flehte sie mich an. Ich konnte sie kaum verstehen. Ihre Worte überschlugen sich. Sie war völlig aufgebracht. Mein Mann und einige seiner Freunde seien auf dem Weg nach Nairobi, warnte mich Nanyimoi. Außerdem lasse er nach mir suchen. Nanyimoi war außer sich vor Angst. Wie ein Lauffeuer habe sich in den Kneipen und Dukas von Archer’s Post die Nachricht verbreitet, dass ich mich in Nairobi in einem Hotel versteckt hielte.
Jetzt erst wurde uns klar, dass die jungen Samburu-Männer da draußen nicht auf Touristen aus waren. Sie suchten mich. Mein Mann hatte scheinbar ein ganzes Heer junger Samburus mobilisiert, um mich aufzuspüren. Rund um unser Hotel reihte sich eine Billigabsteige an die andere. Die Morani hatten das Terrain rund um die berüchtigte River Road wohl in seinem Auftrag systematisch durchkämmt. »Seid vorsichtig, aber verschwindet da so schnell wie möglich«, ermahnte uns Nanyimoi.
Wortlos packten wir unsere paar Habseligkeiten und schlichen zur Hintertür hinaus. Ohne zu zögern gingen wir zu einem anderen, etwas teureren Hotel, das auch auf dem Zettel
stand, den uns die Frauen in Umoja zum Abschied in die Hand gedrückt hatten. Mitarbeiterinnen des kenianischen Frauennetzwerks Urgent Action Fund hatten uns die Namen genannt. Auf ihren Rat hin nisteten wir uns im Grand Holiday Hotel ein, einem ähnlich kantigen Bau wie das andere Hotel. Vor dem Haus stand ein Safaribus hinter dem anderen – bis zum Ende der Straße. Sie fuhren mitten in der Nacht mit den völlig übermüdeten Touristen los, um gleich frühmorgens in den Nationalparks zu sein. In dem mehrstöckigen Gebäude kostete das Zimmer doppelt so viel wie im Dalmar, dafür stand aber auch nachts ein Wächter, ein Askari, vor der Tür. Außerdem hatten wir hier eine eigene Toilette und ein Bad im Zimmer, sodass wir nicht ständig über einen dunklen Flur schleichen mussten und uns etwas sicherer fühlten als im Dalmar.
Neben all den Rucksackreisenden kehrten hier afrikanische Geschäftsleute und Händler aus allen Teilen Kenias ein. Morgens im Frühstücksraum schaufelten sie riesige Berge deftiger Würstchen und Ugali-Maisbrei in sich hinein und tauschten sich angeregt über ihre Geschäfte aus. Sie starrten genauso verwundert wie ich auf ein überdimensioniertes Aquarium, in dem Fische an künstlichen Algen und Anemonen vorbeischwammen. Ich fragte mich, warum man sich so eine bizarre Unterwasserlandschaft mitten in den Raum stellt, obwohl es in Nairobi weit und breit kein Meer gibt. Wie kommt man nur darauf,
Weitere Kostenlose Bücher