Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig
um es sauber zu halten, so auch an diesem Samstag. Meistens begannen wir auf dem Schulhof und durchforsteten dann die Akazienbüsche, in denen sich Plastiktüten verfingen, die der Wind von der Straße zu uns hinübergetragen hatte. So wollte ich das Umweltbewusstsein der Kinder schärfen und ihnen beibringen, Verantwortung zu übernehmen. Sie sollten stolz sein auf Umoja, aber auch lernen, dass man dafür hart arbeiten muss.
Bevor ich gleich mit den Kindern gehen würde, machte ich mich ganz in meine Gedanken versunken auf einen Erkundungsgang durch das Unterholz am Campingplatz. Als ich kurze Zeit später wieder am Campingplatz ankam, fiel ich aus allen Wolken, als ich dort auf eine Gruppe aufgebrachter Frauen stieß. Sie gestikulierten wütend und sprachen wild durcheinander. »Dein Mann war gerade mit einem Gewehr hier. Er hat dich gesucht«, erklärte mir Nagusi. »Er will dich umbringen. Er war völlig außer sich und hat unsere ganzen Vorräte und unsere Einnahmen mitgenommen.« Ich war sprachlos. Das würde ich mir nicht bieten lassen. Eine unbändige Wut stieg in mir auf. »Ich lasse mich nicht wie eine Hündin von meinem eigenen Land verjagen«, erklärte ich und schaute zornig in die Runde meiner Mitstreiterinnen.
»Aber du musst dich in Sicherheit bringen. Jetzt ist nicht die Zeit zu kämpfen«, erklärte Nagusi gefasst. Warum jetzt?, fragte ich mich. Warum musste mein Mann ausgerechnet jetzt alles kaputt machen, wo alles so gut lief? Wie konnte mein eigener Mann es wagen, mich von dem Land zu vertreiben, in das ich mein ganzes Herzblut investiert hatte? Ich sah ein, dass es besser war unterzutauchen und mich in Nairobi in Sicherheit zu bringen, aber ich würde den Kampf nicht aufgeben. Niemals.
Wütend und enttäuscht, aber nicht völlig am Boden zerstört, verließ ich Umoja. »Ich werde zurückkehren, Schwestern«, erklärte ich lächelnd. »Ich bin stark. Ich werde mich nicht unterkriegen lassen, so viel steht fest.« Ich ahnte, dass mir nun in Nairobi eine harte Zeit bevorstand. Doch ich hatte keine Vorstellung, wie beschwerlich die nächsten Wochen sein würden.
AUF DER FLUCHT: DIE GROSSSTADTNOMADIN
Das Hotel in der Innenstadt, in das Nagusi und ich mit letzten Kräften flüchteten, war ein schmuckloser Sechzigerjahre-Kasten. Hier wohnten die Menschen übereinandergestapelt, nur durch hauchdünne Wände voneinander getrennt, sodass wir unfreiwillig zu Zeugen von Streitereien zwischen Drogendealern und Junkies wurden und das Geflüster junger Liebespaare aufschnappten. Viele Gäste waren knapp bei Kasse und schoben sich mit gesenktem Blick an uns vorbei durch die dunklen Hotelgänge, die nur durch flackernde Glühbirnen spärlich beleuchtet wurden. Keiner schaute einem in die Augen. Es war, als ob die meisten hier ein Geheimnis hüteten und mit Fremden nicht gerne ins Gespräch kamen. Oft hörten wir auch nur die gedämpften Stimmen von Menschen, die wir nie zu Gesicht bekamen, und wir erahnten die Dramen, die sich hinter den Wänden abspielten. Neben uns schluchzte und betete eine somalische Frau. Aus ihren Stoßgebeten schloss ich, dass sie wegen des anhaltenden Bürgerkriegs aus ihrer Heimatstadt Mogadischu fliehen musste. Gerne hätte ich ihre Geschichte gehört, doch sie verließ nie ihr muffiges kleines Zimmer und jammerte bis tief in die Nacht. Nagusi und ich rätselten noch lange herum und versuchten uns auszumalen, wie sie hierhergekommen und was ihr wohl widerfahren war.
Nie hätte ich mir träumen lassen, dass ich einmal freiwillig in einem dunklen Loch untertauchen würde, in das kaum
Tageslicht gelangte, nur wenige Sonnenstrahlen von einem Hinterhof, in dem ein paar junge Männer Holzmasken mit dunkler Schuhcreme einbalsamierten, damit die Touristen sie für dunkles Ebenholz hielten. Sobald die schwarze Creme eingetrocknet war, räumten sie die Masken in einen großen Plastiksack und schleppten sie weg, um sie auf den Straßenmärkten der Stadt zu verkaufen. Dabei lachten sie sich ins Fäustchen und machten sich über leichtgläubige Touristen lustig.
Ich wollte auch wieder lachen können. Nagusi und ich munterten uns gegenseitig mit Geschichten aus unserer Kindheit auf. Doch zwischendurch fühlte ich mich immer wieder niedergeschlagen. Die dicken gusseisernen Gitter vor den Fenstern wirkten einfach zu bedrückend. Die Enge in dem winzigen Zimmer war unerträglich. Nach ein paar Tagen fühlte ich mich wie in einem Gefängnis: eingesperrt. Immer wieder schweiften meine Gedanken in
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