Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig
Samburu-Männern Angst ein. Sie mieden uns und fanden uns nach wie vor merkwürdig. Vor allem mein Schwiegervater wetterte gegen uns. Die vielen Ausländerinnen hätten uns den Kopf verdreht und wir seien keine richtigen Samburu-Frauen mehr. Sie verstanden nicht, warum wir als ehemals Obdachlose
es schafften, uns ein eigenes Dach über dem Kopf zu errichten. Außerdem waren sie neidisch, dass es uns finanziell immer besser ging. Unser Land wurde zudem immer wertvoller. Die Landpreise rund um Archer’s Post schossen in die Höhe, und eines Tages wurde vor unseren Augen eine Asphaltstraße zu Archer’s Post gebaut. Mit der Straße würden Waren kommen und unsere Leute würden leichter reisen können.
Seit ein paar Monaten arbeitete ein chinesisch-kenianischer Bautrupp an dem Ausbau der Straße. Jeden Tag näherten sich die Wasserwagen und Zementmischer mit chinesischen Schriftzeichen unserem Dorf ein Stück mehr. Es waren auch einige Samburus als Hilfsarbeiter und Wächter eingestellt worden. Die Männer arbeiteten von frühmorgens bis spät in die Nacht. Damit sie die harte Arbeit besser aushielten, spielte oft einer von ihnen auf einer Flöte traditionelle Samburu-Volkslieder. Zuerst ebneten sie den Weg, bauten Drainagen und dann rückten Wagen mit dampfend heißem Teer an.
Die alten Samburu-Männer lehnten in ihren rot karierten Tüchern auf ihren Stöcken am Straßenrand und beobachteten akribisch den Fortschritt der Bauarbeiten. Sie hatten ihr ganzes Leben auf die schwarze Straße gewartet und konnten es kaum glauben, dass sie nun endlich gebaut wurde. In ihren ausgetretenen schwarzen Gummilatschen liefen sie ungläubig über den frisch gegossenen, dampfenden Asphalt. Eine »richtige« Straße war ihnen von den Regierungen in Nairobi immer wieder versprochen worden, jedes Mal, wenn in den letzten Jahrzehnten gewählt wurde. Doch die internationalen Hilfsgelder, die für den Bau der Straße vorgesehen waren, waren bislang immer in dubiosen Kanälen versickert.
Jetzt endlich machte die kenianische Regierung mit ihrem ehrgeizigen »Straßenerweiterungsplan 2030« Ernst und baute die Straße mithilfe chinesischer Ingenieure und Facharbeiter quer durch den Samburu-Distrikt bis nach Äthiopien. Endlich wurde unsere abgelegene Region an den Rest des Landes
angegliedert. In Zukunft werden unsere jungen Hirten ihre Herden in wenigen Stunden in Pick-ups oder Lieferwagen zu den unterschiedlichsten Märkten Kenias fahren können und für Touristen würde die Fahrt zum Nationalpark angenehmer werden. Der Wandel kündigte sich schon damals durch den zunehmenden Verkehr an – immer mehr Matatus fuhren jetzt auf der Strecke zwischen Isiolo und Archer’s Post.
Auch wir in Umoja profitierten von der neuen Straße, weil es für uns leichter wurde, Lebensmittel einzukaufen. Früher waren wir damit fast den ganzen Tag beschäftigt, jetzt konnten wir unsere Großeinkäufe in Isiolo an einem Vormittag bewältigen. Ich war jedenfalls glücklich mit dem, was wir in den letzten Jahren erreicht hatten, und schaute zufrieden auf unseren Dorfplatz, als ich an diesem Samstagmorgen mit einer Tasse Tee in meine Shuka gehüllt vor meiner Manyatta saß. Gerade morgens genoss ich es, den Tag mit einem Tee zu beginnen, und beobachtete gerne, wie die ersten Sonnenstrahlen langsam über die Berge lugten und den Boden erwärmten. So geborgen wie hier in Umoja hatte ich mich nur als Kind in unserer Manyatta in den Hängen von Wamba gefühlt. Wir Umoja-Frauen standen jetzt auf eigenen Füßen und konnten gelassen in die Zukunft schauen. Wir bewältigten unseren Alltag ganz ohne die Hilfe von Männern. Endlich lebten wir nicht mehr von der Hand in den Mund und unser Plan, uns über den Tourismus ein selbstständiges Leben aufzubauen, schien aufzugehen. Jedenfalls hatten wir keine finanziellen Sorgen mehr.
Uns war klar geworden, dass der Tourismus unsere einzige Chance war, als Frauen zu überleben. Wir hatten gehört, dass einige Massai in der Massai Mara eigene Safarianlagen hatten. Sie nannten es Ökotourismus. Ich hatte mir das Camp und die Lodge in der Massai Mara angeschaut und war völlig begeistert. Dieses Konzept passte auch zu uns, ermunterte ich die Frauen und reichte Fotos und eine Broschüre herum. Auch wir hatten großen Respekt vor der Natur und diese Einstellung
war Teil unseres Lebens. Diese Einstellung den Touristen nahezubringen, machte Sinn und fiel uns nicht schwer.
Jeden Samstag durchkämmte ich mit den Kindern unser Dorf,
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