Man Down
Schlüsselbein, den Oberschenkel, ich quetschte mir die Lunge, prellte mir viele Rippen und stauchte mir die Wirbelsäule. Es war bereits dämmrig, es war Abend, wir hatten Überstunden gemacht, im Licht der Schweinwerfer. Wir waren gerade dabei, das Werkzeug einzusammeln und den Staub vom Dach in den Innenhof zu kehren. Ich war schon müde, die Sonne hatte gebrannt, den ganzen Nachmittag, in unsere Gesichter, auf unsere Rücken, Arme, Beine, es war heiß gewesen, Frühling, aber heiß, wirklich heiß. Ich war müde, total erschöpft. Ich weiß noch, dass ich mich nach einem Hammer bückte, einem Hammer mit rotem Griff und schwarzem Kopf … und das nächste, an das ich mich erinnere, ist, dass ich rücklings am Boden lag, unten im Hof, und mich nicht rühren konnte. Ich hätte ganz laut gestöhnt, hat mir später ein Kumpel erzählt. Ganz laut gestöhnt und ihn angestarrt. Alle wären um mich rumgestanden. Ich erinnere mich nicht daran, dass da jemand war. Ich war doch allein dort unten. Allein mit dem Schmerz. Und dem Schock. Ich konnte mich nicht bewegen. Ich versuchte nur zu atmen, es war, als würde mir jemand die Luftröhre zudrücken, ich hatte Angst, auch nur einen Finger zu bewegen, weil ich dachte, ich müsste dann qualvoll ersticken. Ich konzentrierte mich auf jeden Atemzug.
Als sie mich auf der Bahre in den Krankenwagen luden, dachten meine Kumpels, ich würde sterben. Ich dachte das auch. Und ich dachte, ich müsste doch jetzt irgendwas vom Jenseits spüren. Aber da war nix. Gar nix. Kein heller Schein, kein weißes Licht, kein Engelsgesang. Kein Trost. Da war nichts. Und ich hab mir gedacht: Da fehlt doch noch was. Das kann nicht alles gewesen sein. Ich darf jetzt nicht sterben.
„Na?!“, sagte Shane und legte mir seine Hand auf den Hinterkopf.
„Warum stehen wir hier? Ich hab Kohldampf. Mir ist kalt.“
„Schau mal nach rechts“, sagte Shane leise.
Ich sah eine Gruppe von drei Mädchen. Geschminkte Tussis in feinen Klamotten, beschäftigt mit ihren Zigaretten und Handys.
„Die Blonde! Siehst du die?“
„Ja. Aber sie sieht uns nicht.“
„Ist sie nicht geil?“
„Bei der hast du keinen Meter, Shane.“
„Klar hab ich!“
„Wetten nicht?“
Shane packte mich am Nacken. „Scheiße, und warum nicht?“
„Die sieht nicht so aus, als würde sie auf Typen wie dich stehen.“
„Das wollen wir ja mal sehen.“
Shane ließ mich los und rief den dreien zu: „Lust, mit uns was zu trinken?“
Die Blonde schüttelte den Kopf.
„Nein, danke“, sagte die Zweite.
„Nö“, sagte die Dritte. Die drei schmissen wie auf Kommando ihre Kippen weg.
„Und warum nicht?“
Sie tuschelten. Dann sagte die Blonde, ohne Shane eines Blickes zu würdigen: „Wir stehen nicht auf Moslems.“
Shane klopfte mir auf die Schultern. „Die hält dich für nen verdammten Muselmanen.“
„Lass uns in den Vier Höfen Wodka kaufen und nach Hause gehen. Dann darfst du mich auch sofort beschneiden.“
Ich wollte die Stufen der Feldherrnhalle runter, ehe Shane anfing zu stänkern, da sagte er: „Hast du gewusst, dass Hitler oft hier gestanden ist?“
„Ich will’s gar nicht wissen, Shane.“
„Genau da, wo du jetzt stehst, Kai, ist Adolf Hitler gestanden.“
„Fuck“, sagte ich und machte einen Sprung zur Seite.
„Dort ist er auch gestanden.“
„Shit. Lass mich in Ruhe!“.
Ich rannte die Stufen der Feldherrnhalle runter.
Shane rief mir hinterher: „Du kannst dich hinstellen, wo du willst. Du kannst gehen, wohin du willst. Er war überall. Es war seine Stadt. Hier hat alles begonnen.“
„Scheiße, was soll das, Shane? Ich muss mit verdammten Nazis in einem Haus wohnen, lass wenigstens die toten Nazis unter der Erde. Trinken wir darauf, dass sie tot sind! Pissen wir auf ihre Gräber!“
Shane schlenderte lässig die Treppe runter, zündete sich eine Zigarette an und sah ein letztes Mal rüber zu der Gruppe mit der Blonden.
Es fing an zu regnen. Shane stülpte sich seine Kapuze über den Schädel und marschierte über den Odeonsplatz Richtung Hofgarten. Ich folgte ihm humpelnd.
„Scheiß Nazischlampen.“
„Reg dich nicht auf. So hübsch waren die auch nicht.“
„Die haben Kinder ins Feuer geworfen.“
„Sie haben Kippen auf den Boden geworfen und dir einen Korb gegeben, das ist alles.“
„In den KZ s, du Idiot. Ich bin der Scheißkanake, aber ihr habt Kinder ins Feuer geworfen.“
„ Ihr?! Ich könnte nicht mal den Meyer ins Feuer werfen, und ich hasse das Schwein“,
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