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Man Down

Man Down

Titel: Man Down Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Pilz
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Büchern, ich fand auch manchmal etwas, das mich packte, das mich berührte, das mir weiterzuhelfen schien – aber am Ende kam ich immer wieder zu meinem Ausgangspunkt zurück, und mein Ausgangspunkt war die Erkenntnis von Sokrates: Ich weiß, dass ich nichts weiß. Und heute ist mir klar, dass ich nie etwas erfahren werde über das Leben und den Tod und den Sinn oder die Leere hinter all dem Wahnsinn. Mein verfluchtes Hirn ist zu klein, um irgendwas zu begreifen. Mein Herz ist zu ängstlich, um einen göttlichen Strahl zu empfangen.
    Ich lese nicht mehr. Ich habe die Kraft nicht mehr dazu, und ich vertraue den Worten nicht mehr. Ich will leben, nicht träumen. Jeden verdammten Tag warte ich auf ein Wunder. Scheiße, ja, ich bin so verdammt hungrig auf das Leben, aber es hält mich auf Distanz, ich habe eine Ahnung von seiner Leidenschaft und seinem Feuer, aber ich kann es nicht berühren, ich greife immer ins Leere. Ich will es umarmen, es an mich drücken, aber es zeigt mir jeden Tag die kalte Schulter. Ich will aufwachen aus diesem Albtraum, diesem Gefühl von Lebendigbegrabensein. Ich will doch nur leben. Und wenn es nur für einen Tag oder eine Nacht ist. Und wenn das Glück nur einen Kuss lang dauert.
    Ich gehe in den NORMA um einzukaufen und sehe Menschen, die dreißig, vierzig, fünfzig Jahre älter sind als ich und ihr Leben lang auf ein Wunder gewartet haben und längst wissen, dass es nicht mehr kommen wird. Dass es nur noch ums nackte Überleben geht und dass sie um jeden verdammten Cent kämpfen müssen, jeden Tag, bis zu ihrem Tod. Dass die dunklen Wolken über ihren Köpfen nie verschwinden werden. Sie stinken nach Alk und billigem Deo und After Shave, nach Hustensaft und Schweiß. Und sie stinken nach Angst.
    Ich werde nicht so enden, Florian. Ich schwör bei Gott. So werde ich niemals enden. Ich werde das Wunder zwingen. Die können mich noch so oft betrügen, die können mich noch so oft belügen, verraten und verkaufen, sie müssen mich erschlagen, erschießen, aufspießen – solange ich noch einen kleinen Finger rühren kann, werde ich nicht aufgeben.
    ***
    Als ich im Heim ankam, war die Hölle los. Die Party war bereits im Gang, obwohl es erst halb sechs war. Schon im Stiegenhaus standen Leute mit Bierflaschen und Zigaretten und Joints in der Hand, lachten und quatschten oder küssten sich.
    Ein Typ mit großer Nase und Schnittlauchfrisur stand mit nem Fernglas am Fenster und sah rüber zur Jugendherberge.
    „Schottinnen“, sagte er und leckte sich die Lippen. „Drei Schulklassen. Senf ist schon rüber. Schauen, ob was geht.“
    „Hey, die Bude hier ist voller Studentinnen und ihr schleicht euch rüber in die Jugendherberge?“
    „Da könnte noch was gehen heute.“
    „Ich kapier das nicht.“
    „Weißt du denn nicht, was die von deutschen Frauen unterscheidet?“ Er sah mich durch das Fernglas an. Ich zuckte mit den Schultern. Er setzte das Fernglas ab. „Größere Titten haben die, verstehst du? Die Mädels von der Insel haben big boobs !“
    „Möpse sind doch nicht alles.“
    „Schau dir unsere Mädels im Heim an! Alle flach!“
    „Was ist mit der Inderin?“
    „Die hat einen Flaum über den Lippen. Was interessiert mich eine Frau mit Bart?“
    „Was interessieren mich Riesenmöpse?“
    „ Zeig doch mal die Möpse, die würden mich interessieren, zeig doch mal die Möpse, hab lange keine mehr gesehen “, sang der Schnittlauch, er sang es falsch, aber laut, so laut, dass es durchs ganze Stiegenhaus schallte und irgendwer in einem anderen Stock mit einstimmte. „ Ich steh total auf Möpse, und am liebsten hätt ich zehn, zeig doch mal die Möpse, aber ich will nicht, dass … ich will nicht, dass die frieren! “
    Schnittlauch reichte mir das Fernglas. „Gugl.“
    „Hm?“
    „Ich bin Gugl.“
    „Kai.“
    Wir gaben uns die Hände. Er brach mir beinahe die Pfote. Irgendwie war alles an ihm zu groß. Irgendwie machte er alles mit zu viel Kraft.
    „Eigentlich heiße ich Klaus, aber die Leute behaupten, ich würde alles wissen. Gugl wie Google, verstehst du?“
    „Nein.“
    „Sag mir nen Namen aus dem Heim und ich spucke alle Infos über die Person aus“, sagte er und legte seine Pratze auf meine Schulter. „Gegen ein kleines Trinkgeld erfährst du alles.“
    Ich sah durch das Fernglas hinüber zur Jugendherberge. Ich konnte keine Möpse sehen, ich konnte nicht mal Mädchen sehen. Ich sah zwei Typen an einem Fenster sitzen und rauchen.
    „Schottinnen, Engländerinnen, die

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