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Man Down

Man Down

Titel: Man Down Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Pilz
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Feind? Oder das System, das Meyers Schweinereien möglich macht? Ist es der Mensch neben mir, der Mensch vor mir, hinter mir, ist jeder hier mein Feind?
    Sag mir, wo ist der Feind, wer ist der Feind? Wen muss ich bekriegen, damit es mir wieder besser geht, damit ich wieder leben kann? Sind diese Rassisten und Faschos meine Feinde oder sollten wir zusammenhalten gegen das System, gegen Meyer? Aber wie sollen wir zusammenhalten? Sie hassen Shane und ich liebe Shane, wir werden nie in einer Front stehen. Wen also soll ich hassen? Wer ist schuld, dass ich im Dreck lebe? Wer hat mich dorthin gebracht? Wer hat das verdammte Benzin über mich gekippt und das Streichholz geworfen?
    Ja, ich weiß – denen wäre es lieber, ich wäre tot. Ich koste den verdammten Staat nur Geld. Ich bin einer, der nur Ärger macht. Denen wäre es lieber, ich würde nicht existieren.
    Darum möchte ich es ihnen ins Gesicht schreien:
    Ich lebe noch!
    Fühlt ihr meinen Herzschlag?
    Ich liebe noch.
    Ich bin noch lange nicht wie ihr!
    Ich lache noch.
    Hört ihr mich?
    Ich kämpfe noch.
    Spürt ihr mich?
    Ich habe schon viel gesehen – Picassos und Dalís und Velázquez’ und weiß der Teufel noch was für Kunstwerke. Meine erste Freundin war verrückt nach dem Zeug, und ich begleitete sie in die Pinakotheken und Museen, ja, wir fuhren wegen so ner Sonderausstellung extra nach Berlin, wo wir drei Stunden im Regen anstehen mussten, wegen einem Dutzend Kunstwerke in einem einzigen Raum. Einige von den Bildern, die ich in jener Zeit gesehen habe, fand ich geil, ehrlich, die habe ich angeschaut und ich habe was gefühlt dabei, lebendig habe ich mich gefühlt, aufgewühlt, manchmal auch traurig. Aber das größte Kunstwerk, das ich je gesehen habe, das überwältigendste, war Shane im Kampf gegen diese Kerle. Ein kämpfender Mann, ein Krieger, die Schultern hochgezogen, die fliegenden Fäuste vor und zurück.
    Ich weiß, da lief keine Musik in der U-Bahn, aber ich hörte etwas Göttliches. Eine Melodie, die mich tief traf, eine Melodie, die mich fortnahm, weg aus Scheiße und Dreck, ich sah den Held gegen alle, der Held gegen die Meute, der Held, der mir Mut machte, ein junger Gott, der für einen kurzen, harten Fight auf die Erde gekommen war, um dem Teufel eins aufs Maul zu hauen, und ich konnte nicht anders, ich musste an seiner Seite kämpfen, ich musste an die Front, alles andere hätte keinen Sinn gemacht, alles andere hätte meiner Existenz jede Berechtigung geraubt. Also warf ich mich in die Schlacht und knallte dem Riesen, der den Stunk angefangen hatte, mit voller Wucht die rechte Faust in die Fresse, aber das machte dem überhaupt nichts aus, das tat meiner Hand mehr weh als seiner Nase, er konterte mit zwei, drei wuchtigen Schlägen, denen ich nur mit viel Glück ausweichen konnte. Die stürzten sich nun alle auf Shane und mich, aber es waren zu viele Menschen in dem Waggon, jeder stand jedem im Weg, sie konnten die Übermacht nicht ausnutzen und Shane bekam den Kampf Mann gegen Mann, und im Kampf Mann gegen Mann war er so gut wie unbesiegbar. Er brach zwei, drei Typen die Nase, das Kiefer, die Wangenknochen, seine rechte Faust war ein Hammer, der alles zerbrach, was ihm im Weg war.
    Ich teilte ein bisschen aus und steckte ein wenig ein, es war mehr ein halbherziger Sparringskampf, während Shane tötete.
    Irgendwann – ich hatte jeden Sinn für Zeit verloren und weiß nicht, ob nach 10 Sekunden, nach 20 oder nach zwei, drei Minuten – hatten die Kerle ihn, Shane konnte nicht mehr schlagen, weil sie ihn an den Armen und Beinen gepackt hatten – Shane war verloren. Ich hatte mein Eisen dabei, aber ich wusste, das Eisen hätte die nicht davon abgehalten, Shane plattzutreten. Die hätten mir das Ding aus der Hand gerissen, schneller, als ich abdrücken hätte können.
    Shane verteilte noch ein paar Kopfstöße, aber er war umgeben von einem gelben Knäuel, die prügelten auf ihn ein, mit allem, was sie hatten. Dann flog die erste Flasche, aber sie traf einen Gelben, dem das Blut nur so aus dem Kopf spritzte.
    Als Shane richtig üble Faustschläge abbekam, da zerriss ein Donnerschlag den Waggon. Erst dachte ich an eine Bombe, aber der Zug fuhr weiter, nur unter den Passagieren brach Chaos aus, die Leute schrien, einige gingen zu Boden. Ich hörte nur noch ein Pfeifen in meinen Ohren, diese Wichser hatten einen Böller gezündet, einen von der Sorte, die jedem Trommelfell den Garaus macht. Die Angreifer hatten von Shane abgelassen, Shane

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