Man Down
Neue Kundschaft kam ins Geschäft und Marion in meine Kabine. Sie betrachtete meine Tattoos. Sie streichelte über die Tätowierung mit der Löwin.
„Sterbende Löwin“, sagte ich, während ich meine Jeans hochzog. „Hat irgendein Assyrer vor ein paar 1000 Jahren in’ Stein gemeißelt.“
„Ich möchte auch ein Tattoo.“
„Geht nie wieder ab.“
„Ich möchte auch eine Löwin.“
„Löwin passt nicht zu dir.“
„Was passt zu mir?“
„Zu dir?“
„Sag nicht: Engel. Nicht: Herz. Ich will keinen Stacheldrahtzaun und auch kein Tribal.“
Ich zog mir den Kapuzenpulli an. Marion reichte mir die Jacke.
„Du willst ein Tattoo?“
Pal sagt, wenn ich die Nadel brauche, soll ich nur bei ihm vorbeischauen. Pal sagt, ich bin immer willkommen. Wann immer ich Sehnsucht nach ein bisschen Schmerz habe – er würde Zeit für mich haben, keinen Cent verlangen und sein Bestes geben.
Pal arbeitete vor ein paar Jahren einen Sommer lang mit mir beim selben Paketdienst. Einmal parkte er in einer Gasse, lieferte das Paket ab, und als er zurückkam, wurde er von einem wartenden Autofahrer und dessen Kumpel angepöbelt. Die beiden beschimpften ihn richtig übel, sodass Pal mit seinem Mittelfinger antwortete, da stiegen sie aus, um Pal aufzumischen. Aber Pal – obwohl klein und schmächtig – hatte n Mörderhammer, war immerhin einmal einer der besten ungarischen Boxer seiner Gewichtsklasse gewesen. Und schon lag einer der beiden am Boden. Pals Pech war, dass der Typ eine extrem dünne Schädeldecke hatte und drei Tage später im Krankenhaus den Löffel abgab. Jeder halbwegs gute Anwalt hätte Pal rausgeboxt, aber er bekam so einen Pflichtheini, der die ganze Zeit besoffen oder gar nicht anwesend war. Viereinhalb Jahre wegen Totschlags, für eine Sache, die eindeutig nur Notwehr gewesen war. Der Tote war vorher mehrfach wegen brutaler Gewaltdelikte verurteilt worden, aber es gab nur einen einzigen Zeugen, und das war sein Kumpel, und der behauptete, Pal hätte die beiden völlig grundlos angegriffen.
Ich kannte Pal nur von gelegentlichen Smalltalks in der Verteilerstelle, trotzdem besuchten Shane und ich ihn im Knast. Anfangs nur aus reiner Neugierde. Wir wollten ein bisschen Knastluft schnuppern, das war alles. Bald wurden die Besuche zur Routine. Pal freute sich jedes Mal riesig. Den hat ja keiner besucht, der kannte ja niemanden hier in Deutschland. Pal hat uns ein paar Dinge über Stadelheim erzählt, die ich Dir lieber ersparen möchte.
Jetzt ist er seit einem dreiviertel Jahr wieder draußen, wir gingen anfangs ab und zu alle zusammen ins Grünwalder Stadion, aber später hatte ich kein Geld mehr dafür.
Und dann lag Marion bäuchlings auf einem Stuhl, der einem Behandlungsstuhl beim Zahnarzt glich. Wie oft war ich schon hier gesessen und hatte mich quälen lassen. Acht- oder neunmal. Hast du eins, brauchst du zwei. Hast du erst mal drei, dann weißt du, es hört nie mehr auf.
In ein paar Stunden würde Marion sich in die Ferien verabschieden. Wir würden keine Karre auftreiben können, wir würden nicht gemeinsam wegfahren können, sie würde sich in den Zug nach Hause setzen. Es tat weh zu wissen, dass ich meine Kleine zwei Wochen lang nicht sehen und nicht küssen würde können. Aber solange wir hier bei Pal waren, wollte ich nicht daran denken, wollte ich jeden Moment genießen.
Marion lag da, mit heruntergelassener Hose. Ich betrachtete ihren sexy Hintern und die fürchterliche Narbe. Pal schien alles völlig kalt zu lassen. Er hantierte an seiner Maschine, öffnete die bunten Tintenfässchen und summte ein Lied.
„Du bist dir sicher?“, fragte er Marion, als er alles vorbereitet hatte.
Sie streckte mir ihren Arm entgegen. Ich nahm ihre Hand. Sie lächelte.
„Bist du dir sicher?“, fragte ich. „Dein Hintern verliert deine Unschuld. Du musst dir absolut sicher sein.“
Sie war sich sicher. Sie wollte das verdammte Tier auf ihren Arsch.
Als Pal loslegte und Marion hin und wieder kicherte und meinte, es würde furchtbar kitzeln, da betrachtete ich die Narbe. Sie schien gar nicht so alt zu sein. Sie machte mir Angst. Ich wusste, dass etwas nicht stimmte. Dass irgendwas faul war. Ich ahnte hinter der hübschen Fassade einen Abgrund, ein Stückchen Hölle, und ich musste alles darüber erfahren, obwohl mir klar war, dass man in der Hölle Dinge sehen und erleben kann, die es einem unmöglich machen, sie jemals wieder zu verlassen.
5
Als ich eines Tages zu Mittag vom Arbeitsamt nach Hause
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