Man Down
zischend.
„Shane, hast du was mit Marion?“
„Was?“
„Fickst du Marion?“
„Hm?“
„Was läuft da?“
„Was läuft wo?“
„Scheiße, ich will jetzt endlich alles wissen.“
„ … “
„Shane!“
„ … “
„Fuck, wach auf!“
Aber Shane war schon wieder weggetreten. Er hatte die Augen geschlossen, den Mund offen und driftete davon.
***
Ich schlief schlecht in den folgenden Nächten, lag stundenlang wach. Ich träumte wieder von Stürzen. Ich stürzte von Türmen, von Felsen, von Dächern, ich lag rücklings auf einer Kuh auf einer Weide und fühlte mich sicher, da setzte sich die Kuh in Bewegung, und ich sah in den Abgrund, 100, 200 Meter, ein riesiger Felsen, wir stürzten zusammen hinunter, die Kuh und ich.
Ich versuchte, Burcak und Marion am Handy zu erreichen, aber Burcaks Handy war immer ausgeschaltet und Marion ging nie ran. Ich schrieb Marion viele SMS , die ich aber nicht abschickte.
Ich trinke allein in meiner Bude, und nach ein paar Bier und ein paar Pillen weiß ich nie, ob ich heulen oder lachen soll. Es zieht mich hinaus in die Stadt, hinaus unter Menschen, ich will etwas erleben, etwas spüren, ich suche den Clash, die Aufregung, den Adrenalinkick. Manchmal habe ich aber keinen Bock auf irgendwen, will ich nur meine Musik hören, will nur mit meinen Gefühlen alleine sein. Dann ziehe ich mich aus und tanze nackt im Zimmer.
Dancing with myself.
Ich habe keine Vorhänge, aber das ist mir egal. Ich liebe meinen nackten Körper, die Tattoos, die Narben, die wenigen Muskeln, die mir geblieben sind. Meine Tätowierungen glänzen, wenn ich schwitze. Ich habe diesen verdammten Körper geformt, mit der harten Arbeit auf dem Dach, mit meinen Gedanken, meinem Willen, meinem Schmerz und meiner Freude, die Sonne hat ihn verbrannt, ich bin dieser Körper und dieser Körper ist ich, wir sind eins, da gibt es nichts, wofür ich mich zu schämen bräuchte. Nein, ich will nicht anders aussehen. Ich will keine Schönheitsoperation. Jede verdammte Narbe gehört zu mir.
So let’s sink another drink
‘Cause it’ll give me time to think
If I had the chance
I’d ask you to dance
And I’ll be dancing with myself.
Oh ja, ich tanze gerne besoffen in meiner Bude. Bierflasche in der Linken, Joint in der Rechten, Sonnenbrille auf und geile Mucke aus den kleinen Boxen, die Shane beim NORMA geklaut hat und die ich meinerseits von Shane geklaut habe.
Tanzen, tanzen, tanzen! Nicht sitzen, nicht liegen, nicht einschlafen, bloß nicht einschlafen, nie mehr einschlafen, dieser Rausch darf niemals enden.
Tanzen, tanzen, tanzen! Die grauen Mächte lauern überall und fallen über dich her, wenn du schläfst, saugen dir das Blut aus, rauben dir das Lachen, die Hoffnung und den Mut und machen dich zu einem von ihnen. Sie wollen dich kalt machen und hart und verbittert.
Das wollen sie.
Sie tun es, weil sie neidisch sind.
Auf die Träume und die Hoffnungen und das Lachen.
Die Welt fuhr Karussel, als ich meinen Alten anrief.
„Hast du gewusst, dass Angela wieder in Europa ist?“
„Hast du gewusst, dass sich Frau Nachbauer den kleinen Zeh gebrochen hat?“
„Wer ist Frau Nachbauer?“
„Wer ist Angela?“
Ich wartete kurz, wollte schon auflegen, dann sagte ich: „Ich werde sie besuchen.“
„Wozu?“
„Sie war mal meine Mutter.“
„Sie war mal die Frau, die jede Nacht nackt neben mir im Bett lag, aber für kein Geld der Welt möchte ich sie jemals wiedersehen.“
„Ich fahre zu ihr.“
„Wie du meinst. Sonst noch was? Ich bin etwas im Stress, Sohnemann.“
Mein Vater und meine Mutter haben sich getrennt, da war ich sechs Jahre alt. Ich bin bei meiner Mutter aufgewachsen, anfangs sah ich meinen Vater noch relativ häufig, irgendwann kaum mehr. Florian kam fast auf den Tag genau vier Jahre nach mir auf die Welt, er war das gemeinsame Kind meines Vaters mit einer amerikanischen Krankenschwester, Angela, die er in seinem Kalifornienurlaub kennengelernt hatte. Ich mochte Angela, ich konnte nie verstehen, wie eine attraktive und kluge Frau wie sie sich auf nen Durchschnittstypen wie meinen Alten einlassen hatte können.
Meine Mutter hat immer nur geschuftet, Tag und Nacht, wenn ich Glück hatte, sah ich sie am Sonntagnachmittag, wenn sie nicht auch noch da im Gasthaus ihrer Eltern mitarbeitete. Meine Mutter hat jahrelang nur für mich geschuftet. Nur für mich, und ich habe sie gehasst, weil sie nie Zeit für mich hatte. Jedes Mal, wenn die Tagesschau berichtete, die
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