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Man Down

Man Down

Titel: Man Down Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Pilz
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Arbeitslosenzahlen seien wieder gestiegen, freute ich mich. Ich betete jeden Abend, sie möge ihren Job verlieren, damit sie endlich mehr Zeit für mich hätte.
    Wenn meine Mutter im Geschäft war, hing ich meistens bei Onkel Bert rum, der einen halben Kilometer von uns entfernt wohnte. Onkel Bert sprach nie ein Wort, und wenn doch, dann brummte er nur unverständliches Zeug, und ich sagte dann: Jaja, oder ich nickte, ohne blassen Schimmer, was er mir sagen wollte. Wenn er schlecht gelaunt war, weil er von seiner Alten Schimpfe bekam, zog er mit seiner STIHL -Motorsäge los. Er schimpfte dann mit mir und gestikulierte, wahrscheinlich wollte er, dass ich nach Hause ging, aber ich ging nicht nach Hause, zu Hause war niemand, zu Hause war ich alleine, also stapfte ich ihm hinterher in meinen knallroten Gummistiefeln. Mein Onkel war fast jede freie Minute mit dem Ding unterwegs. Er trug sogar eine orange Schildkappe, auf der in schwarzer Schrift STIHL stand. Er musste immer Bäume fällen, Büsche wegradieren, Hecken vernichten. Sein Besitz war riesig, und er machte alles platt. Die Motorsäge war sein Schwanz, er fühlte sich mächtig und potent damit. Er ließ sie röhren, und wenn ein Baum zu Boden ging, dann – aber auch nur dann – war da ein Lächeln auf seinen Lippen, weil er sich vorstellte, seine Alte ginge zu Boden.
    Mir taten die Bäume immer leid. Sie hatten Jahrzehnte gebraucht, um zu wachsen, hatten dem Regen und dem Schnee und den Stürmen getrotzt – und dann kam er und tötete sie in wenigen Sekunden mit einer lärmenden, dummen Maschine, die er als Schnäppchen bei Obi gekauft hatte.
    Meine Kindheit war verkorkst, aber ich beklage mich nicht. Hätte schlimmer kommen können, viel schlimmer. Meine Mutter hat mich über alles geliebt. Ich habe meinen Vater vermisst, klar, aber ich bin daran nicht zugrundegegangen. Der Alte kann mich am Arsch lecken.
    Am fünften oder sechsten Tag nach Burcaks Verschwinden, ich lag völlig bekifft auf der Matratze, piepste das Handy, und ich wusste wie so oft nicht, ob ich gerade wachgelegen war oder doch geschlafen hatte. Ich hatte meine Wohnung seit Tagen nicht mehr verlassen. Hatte mich jeden Tag weggeschmissen. Ich schleppte mich zu meinem Schreibtisch und las auf dem Display:
    1 Nachricht. Marion.
    Mein Daumen tippte zitternd auf „Lesen“.
    hey du! habe von dir geträumt. ich vermisse dich. Marion
    Ich nahm das Handy und drückte es an mein Herz, ich schloss die Augen und lächelte. Für ein paar Augenblicke fühlte ich vollkommenes Glück, fühlte ich alles, was man fühlen kann.
    Ich las die SMS nochmal. Und nochmal. Ich suchte einen Fehler. Ich suchte einen Haken. Die SMS war bereits vor Mitternacht verschickt worden, aber es war nichts Außergewöhnliches, dass diese verfluchten Dinger später ankamen. Ich überprüfte, ob wirklich Marion der Absender der SMS war, checkte ihre Nummer.
    Alles okay.
    Ich las die SMS nochmal.
    Alles okay.
    Ich breitete die Arme aus und legte den Kopf in den Nacken und drehte mich, immer schneller und schneller, ich drehte mich, zwei verfluchte Sätze machten den ganzen Unterschied aus zwischen Himmel und Hölle.
    Zehn verfluchte Wörter bedeuteten den Himmel auf Erden.
    Der Himmel bestand aus 44 Buchstaben, zehn Wörtern, zwei Sätzen, einer SMS.
    Ich schwör bei allem, was mir heilig ist – nicht mal für ne Milliarde Euro hätte ich meinen Himmel verkauft. Für kein Geld und Gold und keine Droge dieser Welt.
    ***
    Am nächsten Tag, irgendwann am Nachmittag, klingelte mein Handy.
    „Ja?“
    „Hier ist Burcak.“
    „Fuck, Burcak!“, sagte ich und ließ vor Überraschung meinen Joint fallen.
    „ Fuck Burcak?! “
    „Wo bist du?“
    „Hör zu, Kai. Ich habe nur kurz Zeit. Die Polizei war letzte Woche bei mir.“
    „Wenn du n Alibi brauchst, ich geb’s dir. Du kannst alles von mir haben, das weißt du.“
    „Sie haben mir eine Aufnahme von einer Überwachungskamera gezeigt. Weißt du, wer auf dem Foto war?“
    „Onkel Wilfried?“
    „Hast du der Schweizer Polizei erzählt, ich wäre deine schwangere Freundin?!“
    „Du bist schwanger?“
    „Hast du oder hast du nicht?“
    „ …“
    „Kai! Was hast du denen erzählt?“
    „Ist bestimmt ein Missverständnis.“
    „Ein Missverständnis? Die fragten, ob mit meinem Baby alles in Ordnung wäre. Du Idiot hast denen meine Handynummer gegeben!“
    „Damals kannte ich doch die von Marion noch nicht.“
    „Du sagst der Polizei, ich wär deine Freundin? Du gibst denen

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