Man Down
Ich hätte es von Anfang an wissen müssen. Die Gerüchte im Heim, die Kontaktanzeige, als du so aufgedonnert zu deiner Freundin bist. Alle wussten, dass du ne Hure bist. Nur ich wusste nichts.“
„Ich bin keine Hure. Ich bin nur verzweifelt.“
Ich wollte mir das Gejammer und die Ausreden nicht länger anhören und ging davon. Ich wusste nicht, wohin, ich wollte nur weg, weg von dem Mädchen im Dreck.
Da schrie sie mir hinterher: „Damit du es weißt, du Scheißkerl. Ich hab mich nur von dir ficken lassen, weil Shane mich dafür bezahlt hat. Nur deshalb. Er meinte, du hättest eine Freundin nötig. Ich will doch gar nichts von dir. Glaubst du, ich will was von einem Typen, der jeden Tag dieselben zerrissenen Jeans trägt und 5-Euro-T-Shirts, die vier Nummern zu groß sind?“
Ich drehte mich zu ihr um.
„Du lügst …“, sagte ich leise.
„Deine Jeans sehen aus wie aus dem Altkleidersack und deine Unterhemden haben Mottenlöcher! Du trägst grüne Unterhosen! Welcher Mann auf dieser Welt trägt grüne Unterhosen? Hast du die auch aus dem Container gefischt? Und wie du humpelst! An dem Tag, als du mich verfolgt hast, da dachte ich, Klaus Kinski wäre aus dem Grab gehüpft! Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich so einen Mann jemals geliebt habe!“
„ …“
„Ich kann jeden Mann im Heim, nein, jeden Mann in der ganzen Stadt haben. Jeden. Ich brauche keinen Loser wie dich.“
„Marion …“
„Jetzt bring mich doch um! Worauf wartest du? Du musst dich doch rächen an der bösen, bösen Welt! An den Männern, die mich gefickt haben! Es mit denen aufzunehmen, dafür fehlt dir doch der Mut. Aber so einer Schlampe wie mir wirst du es wohl noch werden, oder? Also! Worauf wartest du? Bring mich um!“
Ich flüchtete vor Marion, aber sie folgte mir, sie beschimpfte mich, sie fluchte, nie zuvor hatte ich sie so erlebt, sie rastete völlig aus. Sie war schön in ihrer Wut, leidenschaftlich in ihrem Zorn, ihre blauen Augen glühten, sie brüllte durch die Nacht, als wäre sie eine Straßennutte, die einen Freier verfluchte, der sie nicht bezahlt hatte.
Sie ließ nicht von mir ab, auch nicht, als sie einen Schuh verlor, ich wollte, dass sie abhaute, aber sie verkrallte ihre Hand in meiner Bomberjacke. Und auf einmal verstummte sie, schrie nicht mehr, stampfte nicht mehr mit ihren Stiefeln Löcher in den Asphalt, sondern riss mit aller Macht an der Jacke, sodass ich gezwungen war stehenzubleiben.
„Töte mich“, sagte sie leise. „Bitte. Töte mich. Ich will nicht mehr.“
Ihre Hand löste sich, sie plumpste auf den Boden, plumpste auf ihren Arsch.
„Töte mich“, sagte sie. „So will ich nicht mehr leben.“ Sie verbarg ihr Gesicht mit ihren Händen.
Ich wollte mich neben sie setzen, wollte sie umarmen, wollte alles ungeschehen machen. Alles auslöschen.
„Shane hat dir Geld gegeben?“
Sie nickte.
„Damit du was mit mir anfängst?“
„Töte mich. Bitte, töte mich.“
Und in dem Moment hatte ich das Gefühl, ich hätte all das schon einmal erlebt, ich wäre hier schon einmal gewesen, genau hier, genau mit ihr, und ich wusste, ich würde ihr jetzt die Pistole geben, würde davongehen und nach wenigen Metern würde ich den Schuss hören, mich umdrehen. Und sie da liegen sehen. Meine Marion. Einfach da liegen sehen. Und weil ich es wusste, weil es unvermeidlich war, humpelte ich davon, humpelte ich einfach davon.
7
Als ich in den Zug Richtung Süden stieg, wusste ich, dass das Kamikaze war. Dass es völlig krank war, eine solche Menge Drogen zu schmuggeln, wenn die Bullen einem so dicht auf den Fersen waren.
Egal.
Ich musste meine Schulden jetzt tilgen.
Ich wollte frei sein.
Jetzt, jetzt, jetzt.
Ich wusste, dass ich diese letzte Fahrt hinter mich bringen musste. Wenn ich heute nicht fahren würde, wären weitere vier Fahrten fällig. Vier weitere Fahrten hätte ich nicht mehr durchgestanden. Mit jeder Fahrt war die Furcht vor dem Erwischtwerden gestiegen, obwohl mit der Zeit so was wie Routine entstanden war. Obwohl ich mich scheißcool gab, wenn die Bullen durch den Zug schlichen, um Verdächtige zu filzen. Anfangs war ich mir ja sicher gewesen, dass sie mich schnappen würden, irgendwann. Ich dachte mir, scheiß drauf!, Augen zu und durch. Aber mit der Zeit war ich selbstsicherer geworden und ich ertappte mich immer öfters, wie ich mir ausmalte, wie es wäre, wenn ich damit durchkäme. Wenn ich es schaffen würde, die Schulden auf diese Weise loszuwerden. Und damit wurde der
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