Man Down
Mund meinen Kaugummi und zwinkerte ihm zu, dabei hatte ich Mühe, meinen Schließmuskel unter Kontrolle zu halten. „Mein Ellbogencheck im Englischen Garten war fein, was? Der war doch richtig gut, das müssen Sie zugeben!“
„Was haben Sie in der Tasche?“, fragte der andere Beamte, ein durchtrainierter Bodybuilder.
„ …“
„Ist das Ihre Tasche?!“
„ …“
„Ob das Ihre Tasche ist!“
„ …“
„ HALLO !“ Er machte mit seiner Hand den Scheibenwischer vor meinem Gesicht.
„Ja“, sagte ich und starrte aus dem Fenster. „Das ist meine Tasche.“
Der Zug drosselte seine Geschwindigkeit und fuhr im Schritttempo in den Bahnhof ein.
Mein Körper war nicht mehr fest, mein Körper war nur mehr ein schwabbeliges Ding, ich war Pudding. Ich hatte mit einem Moment keine Kraft mehr, keinen Willen mehr, alles verpuffte in dem Moment, als mir klar wurde, dass ich mit einem Bein im Knast stand. Dass ich dieses Mal nicht mehr flüchten würde können. Und dann überkam es mich wieder, dieses Gefühl von unendlicher Einsamkeit. Ich nahm gar nicht mehr wahr, was da um mich ablief. Ich fiel in ein schwarzes Loch, auf einmal wurde mir klar – dass nur ich existierte und sonst niemand, niemand außer mir, nur ich, ihr nicht! , und mir wurde bewusst, dass ich dieses ganze wunderbare und schreckliche Universum, diesen ganzen verdammten Zirkus nur erfunden hatte, um meine Einsamkeit zu vergessen, aber jetzt holte sie mich ein, jetzt zwang sie mich in die Knie, jetzt konfrontierte sie mich mit der schlimmsten Wahrheit: Die Sehnsucht nach einem zweiten Wesen in dieser grenzenlosen Einsamkeit würde niemals Erfüllung finden. Es gab kein einziges Wesen in dieser absoluten Unendlichkeit.
Da war niemand.
Da war nichts.
Der zweite Polizist packte mich am Arm, schüttelte mich und brachte mich wieder zur Besinnung. „Was ist los mit Ihnen? Was haben Sie genommen?“
Ich glotzte ihn nur an, ich muss wie ein Irrer geglotzt haben, mit meinen blutunterlaufenen Augen und den schwarzen Rändern darunter. Ich hatte in der Nacht zuvor keine einzige Minute geschlafen, war ziellos durch München gestolpert.
„Öffnen Sie die Tasche. Wir wollen den Laptop sehen.“
Ich schluckte. „Der Meyer hat mich zum Krüppel gemacht und dann auf nem Berg Schulden sitzen lassen.“
„Öffnen Sie die Tasche.“
„Den zieht keiner zur Rechenschaft.“
„Wen zieht keiner zur Rechenschaft?“
„Den Meyer.“
„Wer ist Meyer?“
„Dieser Hurensohn.“
„Was reden Sie da?“
„Shane hat nen Cousin, der hat n T-Shirt geklaut, da war er 17 und dafür ist er in’ Jugendknast. Für n T-Shirt. Für n gottverdammtes T-Shirt.“
„Für ein T-Shirt geht keiner in den Knast.“
„Shanes Cousin ist für n T-Shirt in’ Knast. Meyer läuft frei rum und grinst aus den Zeitungen.“
Der Typ griff nach der Tasche, die zu meinen Füßen stand, aber ich wehrte seine Hand ab mit einem Reflex, den er nicht erwartet hatte.
„Öffnen Sie jetzt die Tasche. Sofort!“
Ich legte die Laptoptasche auf meinen Schoß und öffnete den Reißverschluss.
Ich öffnete den Reißverschluss links.
Ich öffnete den Reißverschluss rechts.
„Wenn Sie mich jetzt hochgehen lassen“, sagte ich, und mein Hals war so trocken, dass ich kaum mehr einen Ton herausbrachte. Ich versuchte aufzustehen, aber meine Knie gaben nach und ich sank halb auf den Sitz, halb auf den Boden. „Das ist doch nicht fair … das ist doch meine letzte Fahrt! Mir fehlen doch nur noch fünf Minuten. Fünf verdammte Minuten!“
Der Bulle vom Englischen Garten legte kumpelhaft eine Hand auf meine rechte Schulter. „Herr Samweber, wir wissen, dass Sie nur ein Kurier sind. Kein kleiner Kurier. Aber auch kein großer. Wir wollen von Ihnen wissen, in wessen Auftrag Sie handeln. Und wer das Zeug in der Schweiz übergibt. Das könnte Ihnen helfen, dass die Sache vor Gericht nicht zu unangenehm wird.“
Ich dachte sofort an den Marokkaner mit dem Fußballdress. An seine letzte Tour. An seine Familie. An Rugby. An Shane. An Öcal und Ugi. Wen würde ich verraten, um meinen Arsch zu retten? Der Gedanke, dass ich den Bullen Öcal und Ugi ans Messer liefern würde, hatte etwas so Aberwitziges, dass ich hysterisch zu lachen begann. Ich würde wie Max Schmeling enden. In einem Rollstuhl mit nem Schlauch im Mund.
Die beiden lachten mit mir. Ich lachte laut, sie lachten leise.
„Wir können Sie heute Nacht schon einsperren lassen“, sagte der Bulle und lachte weiter, als wäre das
Weitere Kostenlose Bücher