Man Down
Druck, der auf mir lastete, mit jeder Fahrt größer. Ich hatte wieder etwas zu verlieren.
Dieses Mal – zum ersten Mal – nahm ich mein Eisen mit. Sollten die Bullen mich erwischen, würde ich mir das Ding in den Mund stecken und abdrücken.
Ich war fest entschlossen, das zu tun.
Ich dachte, meine Beine würden nachgeben, wenn ich in den Zug steige, aber ich stieg ein und spürte meine Beine, meinen Körper nicht mehr. Ich war nur mehr ein Wille. Ohne Körper, ohne Gestalt.
Ein Mann, ein Wille.
Ich war eine Kugel, die aus einer Waffe gefeuert wurde. Bereit, mein Ziel zu treffen.
Ein Mann, ein Wille.
Ohne Rücksicht auf Verluste.
Heute Nacht würde ich auf dem Heimfest trinken und tanzen und irgendne Braut abschleppen. Marion sollte sehen, wie ich die Tussi auf der Tanzfläche küsste, wie ich mit ihr in einem der Zimmer verschwand. Heute Nacht wollte ich die Welt in Flammen setzen und verbrennen. Ich musste nur über die Grenze mit dem Zeug wie all die Wochen zuvor. Ich durfte mich nur nicht erwischen lassen.
Ich setzte meine Kopfhörer auf und hörte meine Musik. Ich bezahlte einen Kaffee, den ich nicht trank, weil ich ihn verschüttete. Ich sah ein Flugzeug am Himmel. Ich war noch nie geflogen. Ich kannte nichts von der Welt. Ich kannte nur fucking Giesing. Scheißegal. Ich schloss die Augen. Ich schwor Gott, nie mehr in meinem verdammten Leben Drogen zu schmuggeln. Nie mehr. Nur noch heute. Heute das allerletzte Mal. Danach würde ich ein neues Leben anfangen.
Erst lief alles glatt. In St. Gallen traf ich Ahmud, einen der vier Dealer, mit denen ich bisher zu tun gehabt hatte. Ahmud trug immer gefälschte Fußballtrikots von italienischen Vereinen. Nicht selten waren die Spielernamen falsch geschrieben oder die Farben nicht ganz korrekt. Er sprach nie ein überflüssiges Wort. Er mochte mich nicht. Ich ihn auch nicht. Aber dieses Mal bot er mir eine Zigarette an.
„Ich rauche nicht. Danke.“
„Ich fliege heute nach Hause“, sagte er und zündete sich eine an. „Zu meiner Familie.“
„Deine Familie lebt in Marokko?“
„Wien.“
„Du bist in Wien zuhause?“
„Wo meine Familie wohnt, bin ich zuhause“, sagte er und nickte.
„Ich fahr morgen zu meiner Stiefmutter.“
„Wer ist Stiefmutter?“
„Wenn deine echte Mutter tot oder weg ist und dein Vater heiratet ne neue Braut. Das ist die Stiefmutter.“
„Deine Mutter ist tot?“
„Ich hoffe nicht.“
„Ich verstehe nicht.“
„Scheiß drauf. Ist doch egal.“
„Wo lebt deine Stiefmutter?“
„In Innsbruck.“
„Dann bring deine Tasche sicher nach München, damit wir beide eine schöne Reise nach Österreich haben“, sagte er.
„Werde ich machen“, sagte ich. „Keine Angst.“
Ahmud bezahlte den Kaffee und mein kleines Bier, stand auf und reichte mir die Hand.
„Auf Wiedersehen“, sagte ich.
Er schüttelte den Kopf. „Kein Wiedersehen. Das war das letzte Mal.“
„War auch mein letztes Mal“, sagte ich.
Er lächelte und klopfte mir auf die Schultern. Irgendwas war da in seinem Lächeln, das mich für einen Moment stutzen ließ, aber ich kümmerte mich nicht weiter, wollte nur zurück zum Bahnsteig, wollte in den verfluchten Zug steigen, ich war viel zu müde, um zu denken.
Die österreichischen Beamten im Zug wollten nichts von mir, die beiden Witzfiguren kontrollierten keinen einzigen Ausweis, erzählten lieber lautstark Blondinenwitze. Ich lachte mit ihnen, sie merkten nicht, dass ich über Dick und Doof lachte. Alles schien glatt zu laufen. Ich hatte beinahe schon den Münchner Ostbahnhof erreicht, ich sah gerade auf mein Handy, als die Schiebetür aufging und zwei Männer das Abteil betraten. Der eine zückte einen Ausweis. Der andere setzte sich mir gegenüber.
„Sie wollen meinen Pass?“, fragte ich und steckte mein Handy ein.
„Bitte.“
Wir hatten bereits München erreicht. Die Schaffnerin kündigte über Lautsprecher den Halt am Ostbahnhof an. Ich reichte dem Bullen meinen Reisepass. Der gab ihn seinem Kollegen, der aus dem Abteil trat, die Tür schloss und sein Handy zückte. Ich spürte seinen Blick auf mir, während er telefonierte. Dann riss er die Tür auf und grinste mich an.
„Nun, Herr Samweber ...“
Und dann erkannte ich den Kerl. Ich erkannte den verfluchten Kerl und fuhr zusammen, als hätte er mir nen Elektroschock verpasst.
„Man sieht sich immer zweimal im Leben“, sagte er. „Der Spruch ist uralt, aber immer noch gut.“
Fuck.
Ich gab mich cool, kaute mit offenem
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