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Man kann sich auch wortlos aneinander gewöhnen das muss gar nicht lange dauern

Titel: Man kann sich auch wortlos aneinander gewöhnen das muss gar nicht lange dauern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Pehnt
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Gänge, tauschen Fußballbilder und reden nicht mit Hannes. Wenn er vorbeikommt, wiehern sie leise. Manchmal findet er auf seinem Frühstücksbrettchen eine alte Mohrrübe. Artur hat zum Geburtstag einen handgenähten Lederball bekommen, den sie im Heim nicht benutzen dürfen, denn der Aufprall hallt im Gang wie ein Schuss. Niemand darf in Hannes’ Zimmer außer der Putzfrau und Carolin, sie haben ein Klopfzeichen vereinbart. Carolin sitzt auf dem Bett und redet über Pferde, Hannes sitzt am Schreibtisch und hört zu. Den Zimmerschlüssel trägt er an einer Kordel um den Hals, obwohl Abschließen im Heim verboten ist, aber niemand sagt etwas.
    In der Weihnachtszeit schmückt die Betreuerin den Gruppenraum mit den silbernen Kugeln vom letzten Jahr. Artur und Tony sind im Stimmbruch und weigern sich, die Adventslieder zu singen. Am dritten Advent teilt die Betreuerin wie immer die Zettel aus. Ihr wisst ja, sagt sie, gebt euch Mühe, dann wird sich der Weihnachtsmann auch ins Zeug legen. Der gute alte Weihnachtsmann, kichert Tony mit brüchiger Stimme. Zu dir kommt er bestimmt nicht, sagt Katrina. Du bist auch nicht schöner geworden, Baby, sagt Tony galant und zieht den Kopf zwischen die Schultern. Ruhe, ruft die Betreuerin, gebt endlich Ruhe.
    Carolin sitzt vor einem leeren Blatt. Und was wünschst du dir, fragt die Betreuerin und hält Bernies Hände fest, die wild durch die Luft schlagen. Carolin zuckt mit den Schultern und schaut nach draußen. Der Hof liegt still im kühlen Licht.
    Plötzlich schiebt sich eine heftig schwankende Gestalt ins Blickfeld. Die Betreuerin hat sie auch gesehen und lässt Bernies Hände los, die krachend auf der Tischplatte landen. Sie geht ans Fenster. Alle lassen ihre Stifte sinken und schauen auf den Jungen, der seine Krücken in den Boden stößt, die schlaffen Beine hinterherzieht, kurz in sich zusammensinkt, um dann wieder den Oberkörper zu strecken und die Krücken nach vorne zu wuchten. Sein Kopf pendelt hin und her, die Augen sind halb geschlossen unter dem nassgeschwitzten Haar. Er umrundet den ganzen Hof. Bernie stößt einen Schrei aus und schlägt die Schnabeltasse vom Tisch. Guck dir den an, sagt Tony mit tiefer Stimme.
    Wie Ronaldo.
    2. Billie

    Billie malt mit dem Kopf.
    Das dauert sehr lange. Erst muss er auf seinem Stuhl so lange herumrücken, bis er nah vor der Leinwand sitzt. Dann müssen die zuckenden Arme hinter dem Rücken zur Ruhe kommen. Er trägt ein ledernes Stirnband mit einer Halterung. Die Daumen verhakt er hinter der Stuhllehne, beugt sich langsam nach vorne und stößt mit der Halterung auf den Pinsel, den er sich ausgesucht hat. Wenn er sich wieder aufrichtet, wächst ihm der Pinsel aus der Stirn. So, murmelt er, jetzt kann es losgehen.
    Anna, die heute zuschauen darf, weiß nicht, ob sie etwas sagen soll. Sie schaut auf Billie, auf seine ruhelosen Hände. Da dreht sich Billie zu ihr um. Der Pinsel zeigt direkt auf Annas Stirn. Billie grinst und sagt, sieht verrückt aus, ich weiß. Anna atmet durch. Ja, sagt sie leise, ziemlich verrückt. Billie nickt zufrieden und dreht sich wieder der Leinwand zu. Mit raschen Bewegungen taucht er den Pinsel in die Farben, die ihm seine Mutter auf der Palette gerichtet hat, tupft ein schlammiges Grün auf die Leinwand, ein Felsgrau daneben, ein Acker, eine Steinmauer.
    Warum malst du immer Landschaften, fragt Anna leise. Aber jetzt antwortet Billie nicht mehr.
    Er schnauft leise und wiegt sich zwischen Farben und Leinwand hin und her. Jeder Farbtupfer ist eine Verbeugung.
    Im Heim sagen sie, Billie war ein Draufgänger, der hatte Hummeln im Hintern. Ein Presslufthammer, ruft eine Betreuerin, der konnte doch nie stillsitzen, dem flogen die Arme um den Kopf wie Propeller. Immer Ärger. Manchmal hat er um sich getreten, dann konnte ihn keiner anfassen. Bei Ausflügen hat er so getan, als könnte er nicht sprechen. Hat gegrölt und gestöhnt, peinlich war das. Wieso peinlich, fragt Anna. Du bist noch nicht lange hier, sagt die Betreuerin, du kennst die Tricks noch nicht. Warte mal ab. Die wissen, wie sie dich rankriegen. Anna denkt an Billies verschränkte Hände und die kleinen grünen Tupfer auf der Leinwand. Wieso rankriegen, sagt sie.
    Beim nächsten Ausflug ist sie als Begleiterin eingeteilt. Sie schieben die Rollstühle zum Bus. Bernie ist schon festgeschnallt und schlägt mit dem Hinterkopf an die

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