Man kann sich auch wortlos aneinander gewöhnen das muss gar nicht lange dauern
fängt Tony an zu lallen. Er wirft den Kopf in den Nacken, macht Arme und Beine steif, stampft auf den Boden und jault. Tony, schreit die Betreuerin, hör sofort auf, aber sofort, doch Max, der stille Max, stimmt ein, stöhnt und trommelt mit den Fäusten auf die Tischplatte. Blass vor Wut greift die Betreuerin den Rollstuhl und will ihn hinausschieben, aber Max heult, Anna, heult er, Hilfe, Anna.
Da springt die ältere Dame auf, die Anna vorhin zugenickt hat, lassen Sie doch den Jungen, schreit sie und fasst die Betreuerin am Ãrmel, das arme Kind.
Später im Heim werden Minuspunkte verteilt. Anna hat Kopfschmerzen und sitzt zittrig in der Ecke. So wird das nie etwas, wütet die Betreuerin. Auch Anna bekommt Minuspunkte. Etwas mehr Unterstützung hat man sich von ihr versprochen, etwas mehr Entschlossenheit. Am nächsten Tag hat sie frei, schläft aus und geht dann zu Billie.
Billie lebt mit seiner Mutter in einem schmalen Reihenhaus nicht weit vom Heim. Manchmal kommt er vorbei, setzt sich in den Gruppenraum, spielt Gameboy mit den Mädchen und blättert die FuÃballbilder der Jungen durch. Wenn er bis abends bleibt, kocht ihm die Nachtwache einen Kamillentee, den sie in eine Schnabeltasse füllt, und setzt sich zu ihm. Wie läuft das Geschäft, fragt sie und zwinkert ihm zu, während sie ihm die Tasse an die Lippen hält. Billie schaut ihr ernst in die Augen und sagt, undeutlich und verwaschen, wie das seine Art ist, das ist kein Geschäft, das ist Kunst. Die Nachtwache kichert. Ja ja, weià ich, also, was macht die Muse. Sie küsst, sagt Billie zufrieden, sie ist die Einzige, die mich küsst.
Als Anna klingelt, hört sie die langsamen Schritte der Mutter im Flur. Die Mutter, eine alte Frau im Hauskleid, hat mit der Treppe Mühe, sagt Billie, aber nicht mehr als ich. Wenn die Mutter stirbt, muss Billie wieder ins Heim. Das wissen alle auÃer der Mutter. Sie glaubt an Billies Kunst. Künstler finden immer einen Weg, sagt sie und zupft Billies eingeknickten Kragen zurecht. Er war schon in der Zeitung, und sie zeigt Anna den gelblichen, brüchigen Zeitungsausschnitt, den sie gleich am Eingang mit Tesa an die Tapete geklebt hat. Der Kopfmaler, sagt sie, der malt besser als die anderen mit der Hand, und sie nickt zu Billie hinüber.
Billie versucht gerade, mit der einen Hand die fuchtelnde andere einzufangen und hinter dem Rücken zu verstauen. Schon gut, murmelt er, machst du Anna einen Tee. In der Akademie wollten sie ihn nicht, ruft die Mutter, während sie in die Küche schlurft, die nehmen da keinen aus dem Heim. Billie schüttelt den Kopf, an dem schon der Pinsel klemmt. Ich war nicht gut genug, sagt er leise zu Anna, ich kann nur Landschaften. Anna will ihn loben, sie will ihm sagen, dass diese Landschaften ganz besonders sind, ein besonderes Leuchten in sich tragen, etwas Zartes, Frisches, hart Erkämpftes.
Na und, sagt sie, die sind doch schön. Was anderes fällt mir nicht ein, sagt Billie, wenn die Muse küsst, und er nickt mit dem Pinsel zu den Wänden hin, die mit seinen Bildern bis unter die Decke vollgehängt sind. Anna lässt ihren Blick über die Bilder wandern, Felder im Schnee, Felder im Frühling, Heugarben, wattige Schafherden, winzige Lerchen in die blaue Luft getupft, die Feinheit einer Kopfbewegung. Ich hätte gern eins, sagt sie. Kannst du dir gar nicht leisten, grinst Billie, vielleicht schenk ich dir mal eins. WeiÃt du was, wir gehen aus. Hast du Lust? Anna weià nicht, ob sie Lust hat, mit Billie auszugehen. Ich dachte, du wolltest arbeiten, murmelt sie. Die Muse war heute noch nicht hier, sagt Billie und legt den Kopf schräg, wie soll ich da arbeiten. Komm, eine kleine Spritztour.
Er reiÃt seine Hände auseinander und streckt Anna seinen Kopf entgegen, kannst du das mal rausmachen. Anna zupft den Pinsel aus der Halterung, und wie machst du das, wenn du allein bist? Gar nicht, sagt Billie, das macht alles meine Mutter, meine Mama, und er schmatzt der Mutter, die sich gerade mit einem Tablett durch die Tür schiebt, einen Kuss durch die Luft zu, was wäre ich ohne dich. Wollt ihr denn keinen Tee? Wir drehen eine Runde, verkündet Billie, gleich wieder da, und er zwinkert Anna zu. Wieso drehen, sagt Anna, soll ich ein Taxi rufen. Nicht nötig, Baby, nuschelt Billie, noch nie hat jemand Anna so genannt, abscheulich doch eigentlich, und sie traut sich, das auch zu sagen, nenn mich
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