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Man kann sich auch wortlos aneinander gewöhnen das muss gar nicht lange dauern

Titel: Man kann sich auch wortlos aneinander gewöhnen das muss gar nicht lange dauern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Pehnt
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Nackenstütze. Ich nehme Pommes, ruft Tony. Es ist ganz wichtig, sagt die Betreuerin, am normalen Alltag teilzuhaben. Wir wollen uns doch nicht im Heim verbarrikadieren. Die anderen schreien, Hähnchen, nein Hamburger, Pizza, Pizza mit Schneckenschleim, ruft jemand, und alle lachen. Die Betreuerin dreht sich nach hinten um. Eins ist klar, sagt sie in das verebbende Gelächter hinein. Wenn ihr euch nicht benehmen könnt, ist der Spaß vorbei. Und zwar sofort. Ist das klar. Alle schauen schweigend aus dem Fenster.
    Anna sitzt neben Max, der sich für den Ausflug hübsch gemacht hat. Seine Haare starren wie ein feuchter Igelpelz. Was willst du essen, fragt sie leise. Max schaut geradeaus, aber seine Hand tastet auf der Armlehne nach Annas Arm. Pommes, flüstert er. Mit Mayo. Anna spürt die kalten Finger und weiß nicht, ob sie den Arm wegziehen darf. Vorsichtig rückt sie von Max weg und schaut ihn von der Seite an. Er blickt immer noch geradeaus auf die Straße, als sie vor der Pizzeria halten.
    Die Betreuerin sieht aus, als wollte sie sich die Ärmel hochkrempeln. Sie laden die Rollstühle aus. Bis alle an der mit einer rotweiß gewürfelten Tischdecke hergerichteten langen Tafel sitzen, dauert es eine halbe Stunde. Bernie, der als Erster ausgeladen und an das Kopfende der Tafel gesetzt wurde, tritt unruhig gegen die Tischbeine. Die Kellnerinnen gehen herum, streicheln über Max’ Igelhaare und verteilen lächelnd Speisekarten. Die Betreuerin setzt sich gar nicht erst hin, umkreist den Tisch und schraubt Schnabeltassen auf. Die wenigen anderen Gäste beugen sich über ihre Biergläser. Ein älteres Ehepaar nickt Anna, die Artur ein Lätzchen umbindet, ermutigend zu. Anna schwitzt. Sie nickt höflich zurück.
    Pizza mit Schneckenschleim, flüstert Tony. Schon bricht ein Kichern los, die Betreuerin hebt warnend die Hand, auch Anna versucht, strenge Blicke in die Runde zu werfen. Bernie reißt den Mund auf und stößt einen kehligen Ton aus, der allmählich an Lautstärke gewinnt. Kinder, zischt die Betreuerin, was habe ich gesagt. Die Kellnerin eilt herbei. Was darf es denn sein, ruft sie in das Brummen, Brabbeln und Kichern hinein, haben Sie, ich meine, habt ihr euch schon etwas ausgesucht.
    Auf einmal wird es still am Tisch. Sogar Bernie verstummt mit offenem Mund. Ein Speichelfaden rinnt langsam auf die rot-weiße Tischdecke. Eine Pizza Vier Jahreszeiten, bitte, sagt die Betreuerin entschlossen, und jetzt jeder der Reihe nach. Die meisten nehmen Pizza Margherita oder Pommes. Hannes will nichts. Tony besteht auf einem halben Hähnchen mit Pommes, das ihm die Betreuerin seufzend gestattet. Anna hat keinen Hunger, sie bestellt einen Beilagensalat. Du kannst bei mir probieren, sagt Max und errötet.
    Anna wendet den Blick ab und schaut aus dem Fenster. Ein graues Herbstlicht drückt gegen die Scheiben. Sie denkt an den leuchtenden Sommerhimmel auf Billies Bildern. Warum malt Billie immer dasselbe, fragt sie die Betreuerin. Billie, seufzt die Betreuerin und reicht das Ketchup herum, der malt eben, was sich gut verkauft. Sommer auf dem Lande. Das glaube ich nicht, sagt Anna, das kann doch nicht sein, all die Mühe. Der verdient so sein Geld, sagt die Betreuerin, und das will etwas heißen, für jemanden wie Billie. Die meisten schaffen das nicht. Ja, sagt Anna und will noch mehr sagen, sie will erzählen, wie sorgfältig Billie seine Farbtupfer setzt, wie gerade er seinen Rücken hält, wenn er sich über die Palette beugt. Die genauen Bewegungen der Pinselspitze. Die winzige Landschaft, die in der Mitte der Leinwand beginnt wie eine Insel im weißen Wasser, die sich dann ausbreitet, Fleck um Fleck, Getreidefelder, weißgeschlemmte Bauernhäuser, fingernagelgroße Kühe, gelber Raps, Klatschmohn, ein Fuchs im Gebüsch, auf dem Feldweg ein Spaziergänger mit Strohhut, so winzig. Kitsch, sagt die Betreuerin, dafür zahlen die Leute, Kitsch vom Kopfmaler. Er war sogar schon in der Zeitung.
    Ich weiß nicht, sagt Anna, aber da stößt Katrina ihre Limo um, gelber Schaum schwappt auf Annas Hose, Katrina fängt an zu weinen, Bernie erschrickt und stößt einen bellenden Schrei aus. Die Kellnerin tänzelt mit einem Aufnehmer herbei, die anderen Gäste lächeln nicht mehr, sie starren auf die prustende, zuckende Gruppe, Anna tupft an ihrer Hose herum, die Betreuerin hält Bernie an den Schultern, und jetzt

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