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Man kann sich auch wortlos aneinander gewöhnen das muss gar nicht lange dauern

Titel: Man kann sich auch wortlos aneinander gewöhnen das muss gar nicht lange dauern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Pehnt
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Nachtschwestern sie völlig vergessen. Die Nachtschwester Doris hatte es aus ehrenhaften Gründen eilig, zurück ins Schwesternzimmer zu kommen, ihre kranke Mutter lag allein zu Hause und wartete auf Doris und das Ende der Nacht. Ich sag Bescheid, sagte Doris und knöpfte sich schon im Davongehen den Kittel wieder auf.

    Die Putzfrau, die selbst vier Kinder zur Welt gebracht hatte, fühlte sich für Birgit H. verantwortlich. Sie setzte sich an den Bettrand, obwohl sie während der Geburten im Kreißsaal nicht zugelassen war, hielt Birgit H.s Hand und murmelte, du armes Dierke. Birgit H. stöhnte dumpf und gleichmäßig, quetschte die fremden Finger und schwitzte ihr Nachthemd durch. Als sie anfing, heftig zu schnaufen und sich auf der schmalen Liege hin und her zu werfen, schaute sich die Putzfrau kurz nach dem Stationsarzt um und stellte befriedigt fest, dass er außer Hörweite war.
    Komm, wir machen das, du armes Dierke, sagte sie, jetzt drück mal kräftig, und als die Morgenschwester Frieda auf ihrer ersten Runde durch die Kreißsäle ging, traf sie Birgit H. mit einem Kissen im Rücken in einer Blutlache an, den Kopf an die Schulter der Putzfrau gelehnt, im Arm ein winziges Kind mit einem auberginenfarbenen Kopf.

    Als der Vater, Rudi H., das Kind zum ersten Mal durch die Glasscheibe der Säuglingsstation sah, wunderte er sich über die Verfärbung. Er wunderte sich so, dass er vergaß, sich das Gesicht des Kindes anzuschauen. Er sah den weiß umhüllten kleinen Körper, der sich im Arm der Morgenschwester langsam krümmte, er sah den Kopf mit dem Mützchen und unter dem Stoff den violett geschwollenen Kopf und dachte, ob es sich wehgetan hat, und schon war die Morgenschwester mit einem abschließenden Kopfnicken hinter einer Tür verschwunden. Rudi H., der kaum geschlafen und nicht gefrühstückt hatte, spürte eine Furcht in sich hochsteigen und klopfte gegen die Glasscheibe, erst vorsichtig, dann mit geballter Faust, aber die Türen hinter der Scheibe blieben verschlossen, und der Flur war leer. Rudi H. sah auf seine geröteten Fäuste und beschloss, vor der Arbeit einen Kaffee zu trinken und in der Mittagspause das Gesicht des Kindes zu sehen.

    Während er am Bahnhofskiosk vier Zuckerstücke in seinen Kaffee rührte, um seine Nerven zu stärken und die Geburt seines Kindes mit dem violetten Kopf zu feiern, das noch keinen Namen hatte, lag Birgit H. in ihrem frisch bezogenen Krankenbett und weinte. Sie hatte an einem Brötchen mit Marmelade geknabbert und eine Vitamintablette geschluckt, und auch sie konnte sich nicht an das Gesicht des Kindes erinnern, nur an die kräftige Hand der Putzfrau. Dr. Monat hatte sie genäht, obwohl nichts gerissen war.
    Das machen wir so, hatte er zu ihr gesagt, damit sich nichts entzündet.
    Birgit H. fühlte sich wund und leer. Sie putzte sich die Nase und setzte sich auf, um jemanden nach ihrem Kind zu fragen, und merkte, wie ihr leerer Bauch Falten schlug.
    Sie müssen liegen bleiben und zu Kräften kommen, hatte Schwester Frieda ihr eingeschärft, immer wieder hatte sie es gesagt, und wirklich, ein Schwindel ergriff Birgit H. und drückte sie zurück in die Kissen.

    Neben ihr, nur durch einen Plastikvorhang von ihr getrennt, lag eine andere Frau, die pausenlos und kaum hörbar vor sich hin wimmerte, Friedrich, Friedrich, nur als Birgit H. irgendwann hinüberrief, brauchen Sie Hilfe, verstummte das Wimmern kurz, um dann nach einigen Minuten, als Birgit H. gerade in einen unruhigen Schlaf geraten war, wieder anzuheben. Immerhin schenkte der Schlaf ihr den Namen für das Kind, sie schreckte hoch, schaute sich erschrocken um, weil sie geträumt hatte, sie sei mit Rudi auf einem Segelboot namens George in der Adria, die Sonne brenne unerbittlich, und die Wellen machten sie seekrank. Georg, sagte sie leise, und der Name gefiel ihr, sie konnte ja nicht wissen, ob er zu dem Kind passte, sie wusste nicht mehr, wie es aussah – aber es war ein Junge, das hatte ihr die Putzfrau versichert, bravo bravo, hatte sie gerufen, ein Jungchen, und hatte ihr das schlaffe Kind in den Arm gelegt – sie war gar nicht sicher, ob es lebte, aber wenn es tot wäre, hätte man ihr sicher Bescheid gesagt.

    Während der Putzfrau zu Hause freudig zumute war – sie erinnerte sich an das zusammengepresste Gesicht der Frau, die weißen Lippen,

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