Man lebt nur ewig
schafft es nicht, jemanden zu einem »es« zu reduzieren. Aber sie hatte es versucht. Ihr Opfer, oder zumindest das, was da- von noch übrig war, lag auf dem Boden des Pavillons. Pengfei hatte den Hals der Frau malträtiert wie ein Pudel sein Gummispielzeug. Dann hatte sie ihr die Brust aufge- rissen. Oder vielleicht hatte etwas anderes das getan. Denn der Großteil ihres Inhalts fehlte, inklusive ihr Herz. Schröpfer , flüsterte es in meinem Kopf, und mein rotie- render Magen stimmte zu.
Genauer gesagt versuchte sich mein Magen, inspiriert durch die Nähe zu echten Akrobaten, an einem vierfa- chen Flickflack mit anschließender Doppelschraube. Da er jedoch mit der letzten Mahlzeit noch nicht abgeschlos- sen hatte, war das Ergebnis nicht sonderlich angenehm. Ich entledigte mich des Ganzen in der Bucht.
»Pengfei und Desmond Yale.« Ich spuckte ihre Namen zusammen mit dem Geschmack nach Erbrochenem aus. Waren sie nicht ein reizendes Paar? Was mich gedanklich zu Samos zurückbrachte, dem Kuppelkönig aus der Höl- le. Er sollte eine eigene Webseite haben - psychodates. com. Ich konnte mir richtig gut vorstellen, wie er damit durch die morgendlichen Talkshows tingelte. »Ganz ehr- lich, es funktioniert jedes Mal! Unsere Kunden füllen einen dreißigseitigen Persönlichkeitstest aus. Ja, wir er-
heben eine geringe Gebühr, aber die Gewinnspanne ist wirklich tödlich ! Ha, ha ha!« Wie befriedigend wäre es wohl, aus dem Publikum auf ihn zuzustürzen und ihm meine Faust ins Gesicht zu rammen? Auf einer Skala von eins bis zehn? Neunzig.
Vayls Hand auf meinem Arm lenkte meine Aufmerk- samkeit wieder in die Gegenwart. »Du kannst nicht funk- tionieren, wenn du solche Gefühle zulässt«, mahnte er.
Als ob ich das nicht wüsste. Ich starrte auf meine Hän- de, die vor lauter Wut über diesen sinnlosen Tod zitterten. Und ja, auch ein wenig, weil ich diejenige sein musste, die ihre Leiche fand, ihren Schmerz spürte, sie rächen würde. In solchen Momenten wünschte ich mir, mehr wie Evie zu sein. Wenn ich mich mit einem Leben wie ihrem hätte zufriedengeben können, wäre mir eine Menge Schmerz erspart geblieben.
»Was machen wir jetzt?«, fragte ich.
»Wir finden Pengfei.«
»Aber die Seele dieser Frau …«
»… könnte sich noch im Auge des Schröpfers befinden oder auch schon verloren sein. So oder so gibt es im Mo- ment nichts, was du tun könntest, insbesondere, wenn Pengfei eine Katastrophe plant, wie du vermutest.«
»Für jemanden, der ewig leben will, bist du aber ganz schön entspannt, wenn du dem Tod begegnest«, fauchte ich.
Vayl starrte mich so lange an, bis ich ihm in die Augen sah. »Ich könnte dich jetzt fragen, wie du dazu kommst, so etwas zu sagen, bei deinem Beruf«, sagte er so ruhig, dass ich wusste, wie viel Anstrengung ihn dies kostete. Was bedeutete, dass ich besser einen Rückzieher machte, bevor er auf den Gedanken kam, dass ich eine kleine Ab- härtung brauchte und die nächsten sechs Wochen damit
verbringen durfte, mir Leichen in allen möglichen grausi- gen Situationen anzusehen. »Da ich aber erkannt habe, dass du den Fehler gemacht hast, dich mit dieser Frau zu identifizieren, werde ich dich einfach daran erinnern, dich auf den Job zu konzentrieren und so viele Seelen wie möglich zu retten.«
Ich wandte mich ab. Vayl hatte Recht. Ich konnte sie nicht alle retten. Ich blickte über die Schulter und hasste mich dafür, dass ich nicht weinen konnte - denn das wür- de mein Make-up verschmieren. Junge, jetzt war ich so richtig in meiner Rolle. Nun musste ich nur noch einem Kind die Zuckerwatte klauen und könnte dann als größ- tes Arschloch dieser Welt durchgehen.
»Steh nicht so krumm, Jasmine«, befahl Vayl und ließ so einen Teil seiner Wut an meiner Haltung aus. »Pengfei steht nicht krumm.«
»Sollte sie aber. Eigentlich sollte sie auf dem Bauch krie- chen. Dann könnte ich ihr, wenn ich sie das nächste Mal sehe, einfach den Schädel eintreten.« Mit diesem befriedi- genden Bild im Kopf folgte ich Pengfeis Spur zum Win- terfestival denselben Weg entlang, den Cole und ich vor ein paar Tagen genommen hatten. Was für ein Kontrast zu damals. Bevölkert von lachenden Familien mit strahlen- den Augen, ausgestattet mit sorgsam bemalten Buden und Fahrgeschäften, die aussahen, als wären sie von der NASA konstruiert und den Weihnachtsdekorateuren des Weißen Hauses beleuchtet worden, schien das Corpus-Christi- Winterfestival direkt dem Gehirn von Einstein entrissen zu sein.
Kurz
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