Man lebt nur ewig
aufgestiegen war, zur Seltenheit geworden war. Sobald ich Pengfei im Blick- feld hatte, zog ich mir das Medaillon wieder über den Kopf, woraufhin sofort das leichte Unwohlsein einsetzte.
Die echte Pengfei war sauer und rannte fast, doch es gelang mir, sie auf dem Weg einzuholen, der zum Hafen und der hübschen blauen Fähre zur Constance Malloy führte. Ich packte sie am Arm und zerrte sie vom Weg zu einer unbeleuchteten Lichtung westlich neben dem Festi- valgelände. Dass sie überhaupt zuließ, dass ich sie so he- rumschob, zeigte, wie tief der Schock saß, ihr eigenes Ge- sicht wie einen Spiegel vor sich zu sehen, wo eigentlich das Gesicht eines Fremden sein sollte.
Sie erholte sich jedoch schnell und entriss mir ihren Arm. »Das ist mein Kleid!«, fauchte sie so empört wie
jede andere Frau auch, der eine solche Frechheit wider- fährt. Durch ihren Gesichtsausdruck verstand ich irgend wie, was sie meinte, doch Cole übersetzte auch, sobald sie den Mund aufmachte.
Ich wich zurück, um meiner Ausrüstung genug Spiel- raum zu verschaffen, und hielt mir ihren geöffneten Fä- cher vor den Mund. »Stimmt«, sagte ich dann. »Und weißt du was? Du hast einen total flachen Hintern!« Jetzt ging es mir schon besser.
»Wer bist du?«, zischte sie.
Ich sprach langsam und bedächtig, damit jedes Zögern, das dadurch entstehen könnte, dass ich auf Coles Über- setzung warten musste, so interpretiert würde, dass eine alte Frau sich die Zeit nahm, die sie brauchte. »Erkennst du mich nicht, Pengfei Yan? Ich bin deine Ururgroßmut- ter!«
Auf diese Idee war ich durch Shao und seine Erklärung zu den Vorfahren und der Ehre von Wu gekommen. Bei den heutigen Chinesen war ich mir nicht sicher, aber die Alten wie Pengfei hatten ihre Vorfahren verehrt. Wenn man bedachte, dass Vayl immer noch jede Menge acht- zehntes Jahrhundert mit sich rumschleppte, hatte ich die berechtigte Hoffnung, dass Pengfei sich ebenso deutlich daran erinnerte, woher sie kam.
Ich legte etwas matriarchalischen Zorn in meine Stim- me, als ich hinzufügte: »Ich kann nicht glauben, dass du deine Vorfahren nicht erkennst. Aber das ist vielleicht auch kein Wunder, dass du mich ja in all den Jahrhunder- ten nicht so in Ehren gehalten hast, wie du solltest. Was du sehr wohl weißt, du undankbarer Welpe.« Als ich sah, dass ich einen abergläubischen Nerv getroffen hatte, trat ich lange genug an sie heran, um ihr eine Ohrfeige zu ver- passen. Sie legte die Hand an die Wange, während ich
wieder zurückwich und die Lippen zusammenpresste, um mein erfreutes Kichern zu unterdrücken. »Und nun sage mir, warum ich dich nicht für die nächsten dreitausend Jahre mit den schlimmsten Plagen und dem größtem Un- glück heimsuchen sollte?«
»Ich habe einen wundervollen Plan entwickelt, Ehren- volle Großmutter«, sagte Pengfei eifrig. »Er wird China zur mächtigsten Nation der Welt machen, die es, wie wir beide wissen, schließlich sein sollte.« Mit einer Geste signalisierte ich ihr, nicht um den heißen Brei herumzu- reden und zu den Details zu kommen. Sie lehnte sich vor und flüsterte: »Ich werde die chinesischen Akrobaten in die Luft sprengen.«
Fast hätte ich ihr noch eine Ohrfeige gegeben. Einfach, um diese Freude aus den glänzenden schwarzen Augen zu wischen. Doch dann würden immer noch Menschen ster- ben, kleine Menschen wie Lai und E. J., und das konnte ich nicht zulassen. »Was für ein hervorragender Plan«, höhnte ich, »dein eigenes Volk zu zerstören.« Ich hob ei- nen Finger an die Schläfe und ließ ihn kreisen, dazu rollte ich mit den Augen. »Brillant.«
»Nein, Großmutter, verstehst du nicht? Ich habe bereits Briefe an die Washington Post und die New York Times geschickt, in denen die amerikanischen Fanatiker, die vor den Toren des Festivals demonstrieren, die Verantwor- tung für die Explosion übernehmen. Mein Partner konnte die Fingerabdrücke von ihrem fetten Anführer auf die Umschläge und sogar auf die Bombe selbst übertragen. Niemand wird an der Geschichte zweifeln, denn es ist überall bekannt, dass die chinesischen Akrobaten von Vampiren geführt werden.«
»Ich verstehe nicht. Welche amerikanischen Fanatiker? Wem willst du das anhängen?«
»Diese Kirchenleute!«, rief Pengfei. »Ihr Hass auf al- les Übernatürliche ist belegt. Sie haben uns sogar einen Drohbrief geschrieben, als sie erfahren haben, dass wir die Akrobaten nach Corpus Christi bringen. Dadurch sind wir … na ja, unser Partner … erst auf die Idee
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