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Man lebt nur ewig

Titel: Man lebt nur ewig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Rardin Charlotte Lungstrass
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aufwühlende Taxifahrt hinter sich.«
    Er lächelte. »Es ist immer schwierig, jemand anderem sein Leben anzuvertrauen.«
    »Stimmt.«
    »Mein Name ist Desmond Yale.« Die Kellnerin unter- brach ihn und fragte, was ich trinken wollte. Ich bestellte Eistee.
    »Ich bin Lucille Robinson. Cassandra hat erzählt, sie stammen aus New Mexico«, sagte ich, als die Kellnerin weg war.
    »Geboren und aufgewachsen, ja.«
    »Eigentlich hat sie mir nicht mehr erzählt als das.«
    »Was möchten Sie wissen?«
    Ich musterte ihn aufmerksam. »Wie sind Sie zu Ihrer Gabe gekommen?«
    Er dachte einen Moment nach. »Nachdem meine Frau gestorben war, bin ich sozusagen zum Eremiten gewor- den. Ich habe viel Zeit in der Wüste verbracht. Ich würde also sagen, die Einsamkeit hat das bewirkt.« Er nahm ei- nen Schluck von seinem Kaffee und lächelte. »Ich habe so viel Zeit in meinem eigenen Kopf verbracht, dass ich irgendwann einen Weg gefunden habe, den Schmerz und das Verlustgefühl hinter mir zu lassen. Nach einigen Jah- ren der Forschung habe ich gelernt, das Gleiche auch für andere zu tun.«
    Ich nickte, aber in meinem Bauch regten sich Zweifel. Yale wirkte nicht wie der weise alte Traumdeuter, als den
Cassandra ihn beschrieben hatte. Was zur Hölle hatte der Kerl vor?
    »Können Sie mir ungefähr sagen, was mich erwartet? Bei Cassandra klang es ganz einfach.«
    »Das ist es auch«, versicherte er mir. »Wir nehmen uns einfach bei den Händen und gehen fort.«
    »Wohin fort?« Würde dieser Spinner mich im wahrsten Sinne des Wortes in meine Alpträume zurückführen? Und wo steckte überhaupt Cassandra? Sie schuldete mir eine Erklärung!
    Die Kellnerin brachte mein Getränk, schenkte Des- mond Kaffee nach und legte drei in Servietten gewickelte Bestecke auf den Tisch. »Möchten Sie jetzt bestellen?«, fragte sie.
    »Wir warten noch auf meine Freundin«, erklärte ich ihr. »Vielleicht sollte ich mal nach ihr sehen, nicht, dass sie in die Schüssel gefallen ist.« Die Kellnerin lächelte über mei- nen müden Witz, bevor sie ging, wofür sie auf jeden Fall fünfzehn Prozent Trinkgeld bekommen würde.
    Ich versuchte, aufzustehen, schob aber den Stuhl nicht weit genug zurück und stieß mit dem Oberschenkel ge- gen den Tisch. Als mein Tee überschwappte, verkniff ich mir einen Fluch und legte beide Hände auf die Tischplat- te, um sie zu stabilisieren. Doch Desmonds Kaffeetasse wackelte bedenklich. Aber er fing sie auf, bevor sie run- terfallen und ihm den Schoß mit heißem Kaffee versauen konnte.
    Seine Hände. Ich warf einen Blick zur Kellnerin, in der Hoffnung, dass sie mir bestätigen konnte, was ich gese- hen hatte, doch sie schaute gerade über die Schulter zu den Babys, die gleichzeitig aufgewacht waren und plärr- ten. Ich kannte dieses Schreien. Es bedeutete: »Etwas hat mich furchtbar erschreckt«, so wie bei E. J., wenn sie eine
Sirene hörte. Tim musste seine Polizei-Serie jetzt immer im Schlafzimmer schauen, mit geschlossener Tür und so leise, dass er gerade noch etwas verstehen konnte.
    Als die Babys ihre Mütter in Aktion versetzten, sah ich Cassandra hinter der Fensterscheibe. Sie rannte in meine Richtung, deutete auf Desmond und schüttelte so heftig den Kopf, dass ihr die Zöpfe ins Gesicht schlugen.
    Ich warf ihm einen Blick zu und war mir nun fast sicher, dass seine Hände kurz verschwommen waren, als er nach der Kaffeetasse gegriffen hatte. Dass ich unter diesen lan- gen, rosigen Fingern eine Andeutung von Klaue gesehen hatte.
    »Er darf dich nicht berühren!«, schrie Cassandra, als sie aus dem Café stürzte.
    Ich zog meine Hände zurück, doch es war zu spät. Er schnappte sie sich und fixierte sie auf dem Tisch, indem er seine Fingernägel ( Klauen , flüsterte die Stimme in mei- nem Kopf ängstlich) tief in das weiche Fleisch zwischen Knöcheln und Handgelenk bohrte. Es tat so weh, dass ich aufschrie. Sofort quoll Blut hervor, und zwar viel mehr, als eine solche Verletzung gerechtfertigt hätte. Es floss über den Tisch und tropfte auf den Boden.
    Die Babys schrien noch lauter, und sobald ihre Mütter sahen, was mit mir passierte, schlossen sie sich ihnen an. Wir veranstalteten hier ein ziemliches Spektakel, und das mitten in der Stadt. Ich hatte schon so viel Gutes über die Sondereinsatzkräfte in Texas gehört. Wo waren sie, wenn man sie brauchte?
    »Was machen Sie mit mir?«, schrie ich. Ich versuchte, meine Hände zu befreien. Sie hätten genauso gut am Tisch festgenagelt sein können. Verdammt,

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