Man lebt nur ewig

vielleicht waren sie das sogar.
    Desmond starrte mich aus freudig glitzernden Alien-
augen an und sagte: »Du hast meinen besten Schüler getö- tet, du kleine Schlampe. Er war wirklich talentiert. Jetzt habe ich nur noch einen.« Er legte den Kopf schief, als würde er einem inneren Radio lauschen. »Hör auf zu heu- len, dazu komme ich gleich.«
    Ich musste gegen die Panik ankämpfen, als der schizo- phrene Schröpfer mich festhielt. Eine der Mütter kreisch- te in ihr Handy: »Polizei! Hier wird eine Frau angegrif- fen! Im Sustenance , in der East Leopard!« Es tat gut zu wissen, dass die Kavallerie auf dem Weg war. Aber bei der Geschwindigkeit, mit der das Blut aus meinen Händen floss, wäre ich tot, bevor sie eintrafen. Ich hing in einer so verkrümmten Haltung fest, dass ich nicht einmal mit fünfzehn Zentimeter hohen Absätzen einen wirkungsvol- len Tritt hingekriegt hätte. Also griff ich zu meiner letzten Waffe.
    Ich holte tief Luft, sammelte meine gesamte Kraft, jedes Quäntchen Energie, über das mein schmerzender Körper verfügte, und konzentrierte sie auf die faltige Haut zwi- schen Desmonds Augenbrauen. Ich stellte mir vor, die Stelle sei mit einem großen, schwarzen X markiert, und rammte meinen Kopf dagegen.
    Der alte Schröpfer taumelte rückwärts und wirkte so benommen, als wäre er angeschossen worden. Cassandra nutzte das aus, um die Mütter mit ihren Kindern in die relative Sicherheit des Cafés zu ziehen. Ich hingegen nutzte die Zeit, um meine blutenden Flossen mit zwei braunen Papierservietten zu verbinden, in die gerade noch das Besteck eingewickelt gewesen war.
    Ich kam gar nicht auf den Gedanken, Kummer zu zie- hen. Und es war mir egal, dass Desmond aussah wie der nette marsianische Opa von nebenan. Ich hatte jede Lek- tion, die Vayl mir zum Thema vernünftige Distanz ver-
passt hatte, vergessen, und beschloss, diesem Schröpfer sehr persönlich den Arsch aufzureißen.
    Ich begann mit seinem Oberkörper. Bumm, bumm, bumm . Drei Tritte gegen das Zwerchfell. Verdammt, das fühlte sich an, als würde ich auf Betonblöcke einprügeln! Trotzdem, wenn er bisher nicht durch die Ohren geatmet hatte, war jetzt der richtige Zeitpunkt, um damit anzu- fangen. Die Kraft der Tritte schleuderte ihn gegen einen Tisch. Die Platte schob sich unter seinen Hintern, und durch die verbleibende Wucht wurde er von den Füßen gerissen.
    Bisher hatte ich seinen Schild noch nicht gesehen, erst jetzt. Vielleicht hatte mein Angriff Yale ausreichend abge- lenkt, dass er ihn sichtbar werden ließ. Vielleicht hatte ich ihn verletzt. Doch auch wenn es so war, zeigten sich keine Lücken in dem dicken schwarzen Rahmen, der ihn umgab wie lebendiges Feuer, also bezweifelte ich, dass ich ihm ernsthaften Schaden zugefügt hatte. Jedenfalls überlegte ich mir, dass irgendwann eine Schwachstelle auftauchen musste, wenn ich lange genug auf ihn einschlug. Und dann würde ich ihn erledigen. Erst mal trat ich wieder zu. Zweimal gegen die Schulter und einmal gegen den Kopf, um sicherzustellen, dass er zu Boden ging.
    Aber er hatte auch noch ein paar Tricks im Ärmel. Wäh- rend er fiel, schwang er ein Bein durch und erwischte mich damit in den Kniekehlen, sodass ich ebenfalls stürz- te. Ich rollte mich ab und dämpfte den Aufprall mit mei- nem Hintern.
    Als ich mich aufrichtete, flog etwas auf mich zu, sodass ich mich sofort wieder fallen ließ. Metall schlug gegen Metall. Messer? Wurfstern? Was auch immer es war, es war bestimmt tödlich und Teil eines Sets.
    Ich kam auf die Füße und hechtete nach rechts weg, als
ein weiteres Geschoss an meinem Kopf vorbeiflog, so nah, dass das feine Sirren seiner Flugbewegung in meinen Ohren dröhnte. Ich beobachtete, wie es auf die Straße flog. Es war ein Messer. Nach dem schwarzen, mit Runen bedeckten Griff zu schließen ein sehr altes, mit einer ge- bogenen Klinge, die beim Aufprall den Reifen des erst- besten Minivans durchstieß.
    Ich kippte genau in dem Moment den Tisch um und ging dahinter in Deckung, als Desmond das nächste Mes- ser warf. Es bohrte sich durch das Metall und blieb nur wenige Zentimeter neben meinem Auge stecken. Heilige Marie! Offenbar hatten sie in Schröpferland Zugang zu erstklassigen Klingen.
    Ich fummelte Kummer aus dem Halfter, was mit mei- nen Mumienhänden gar nicht so einfach war. Fast hätte ich sie fallen lassen, und dann drückte ich auch noch aus Versehen auf den magischen Knopf, sodass ich plötzlich eine Armbrust statt einer Pistole hielt. Doch in diesem