Man lebt nur ewig
summte. Sie blickte immer wieder auf und lächelte mir zu, während ich auf dem Boden lag, Solitaire spielte und versuchte, ihre Katze Snookums dazu zu bewegen, ihren Hintern von meinen Karten zu heben. Plötzlich hatte ich Tränen in den Augen.
»Wirklich?«, fragte ich. Was soll das? Wenn man die
Grundschule mitzählte, hatte ich wahrscheinlich mehr genähte Stellen an meinem Körper als ein viktorianisches Ballkleid.
»Es kann sein, dass sie ein wenig unter Schock steht«, erklärte die Notärztin Cassandra.
Diese deutete auf die Lache unter dem Tisch. »Das ist alles ihr Blut.«
Die Notärztin nickte. »Dann nehmen Sie den Saft und die Kekse besser mit.« Ich ließ mir von den Damen zum Rettungswagen helfen und protestierte nicht einmal, als die Notärztin mich zudeckte. Manchmal tut es gut, ver- hätschelt zu werden.
15
Z weiunddreißig Stiche, zwölf Cookies und fünf Gläser Saft später kehrten Cassandra und ich zum Wohnmobil zurück. Bergmans Zorn ließ ein wenig nach, als er meine Kriegsverletzungen sah, doch er wollte uns trotz- dem nicht dort haben, damit wir ihm nicht bei seiner streng geheimen Insiderbastelei zusahen. Also stellten wir nur unsere Sachen ab und gingen wieder nach draußen. Irgendjemand, wahrscheinlich Cole, hatte fünf neon- grüne Liegestühle unter dem Vordach aufgestellt. Wir wa- ren jetzt wohl Fernsehstars, da wir die Kameras in den Lampions ausgelöst hatten, aber das war egal. Im Schlaf- zimmer war niemand wach, der uns hätte beobachten können.
»Ich bin völlig fertig«, seufzte Cassandra und ließ sich tiefer in ihren Liegestuhl sinken, damit sie den Kopf an die Lehne stützen konnte. »Wie soll ich heute Abend ir- gendwelche Sitzungen abhalten, wenn ich mich fühle wie ein Stück verkohlter Toast?«
»Tu so, als ob«, schlug ich vor.
Sie sah mich ungefähr so entsetzt an, wie Großmama May es getan hätte, wenn sie mich bei einem schmutzigen Wort erwischt hätte. »Willst du mich verscheißern?«
»Cassandra, du musst eine einstündige Show durchzie- hen, plus einer ›Gewinnersitzung‹, und wenn du Glück hast, bekommst du dafür den Atem des Drachen zu spü- ren. Was ist falsch daran, den Leuten zu erzählen, sie wür-
den die große Liebe finden und eine Portion Glück abbe- kommen?«
Ihr Gesicht verzog sich, als hätte sie gerade in eine Zitrone gebissen. »Richtige Medien tun so etwas einfach nicht. Es ist unethisch.«
»Okay, entspann dich. Ich wollte nur helfen.«
Sie wandte mir angestrengt den Kopf zu und lächelte müde. »Es war einfach ein langer Tag …« Ja, ich hatte ihr wohl ziemlich viel zugemutet. Der Kampf selbst war schon schlimm genug gewesen, doch in gewisser Weise war der Aufenthalt im Krankenhaus noch härter ge- wesen.
Die Fahrt im Krankenwagen hatte ich schließlich ge- nossen, nach dem Motto »So schnell bin ich schon seit Wochen nicht mehr gefahren« - irgendwie traurig. Wäh- renddessen war ich in eine Art Zuckerrausch verfallen. In der Klinik war ich in einen Rollstuhl transferiert wor- den und hatte Cassandra sofort geschockt, als ich eines der Räder schrottete. Aber hey, ich durfte ja wohl noch meinen Triumph feiern, da es sonst keiner tat. Wir saßen schon einige Minuten in Wartestellung (auf dem Gang), als ich bemerkte, wie sie sich eine Träne abwischte. Das machte mir dann doch Sorgen.
»Machst du dir immer noch Gedanken wegen der Vi- sion? Oder war der Kampf zu viel für dich?« Ich wusste, dass sie schon einiges an Gewalt miterlebt hatte, aber ich hasste es trotzdem, wenn sie und Miles die unangenehme- re Seite meiner Arbeit zu sehen bekamen. Dann kam mir ein Gedanke. Ging es mir wirklich darum, die anderen zu beschützen? Oder hatte ich einfach nur Angst davor, wie sie mich ansehen würden, wenn sie schließlich herausfan- den, wozu ich fähig war? Autsch, das Eisen war definitiv zu heiß, um es jetzt anzupacken.
Sie hatte eine Weile über meine Frage nachgedacht, dann presste sie die Lippen zusammen und zuckte mit den Schultern. »Auch wenn ich mich gerne über mein Schicksal beklage, ich mag das Leben. Wenn ich daran denke, wie viele Orte ich besucht, wie viele Menschen ich getroffen und welch wundervolle, außergewöhnliche Dinge ich erforscht habe. Und dass es nach all der Zeit immer noch so viel zu sehen, so viel zu lernen gibt …« Wieder zuckte sie mit den Achseln. »Ich habe Angst, dass es mir nun durch die Finger gleitet.«
»Ich weiß ja, dass deine Visionen sich oft als wahr er- weisen, aber ich glaube
Weitere Kostenlose Bücher