Man lebt nur ewig
zusehen zu können, wie ich geflickt wurde.
»Werden Sie öfter so zerfetzt?«, fragte Dr. Darryl.
»Yeah.«
»Tja, solange Sie in Texas bleiben, muss ich mir wohl keine Sorgen um meinen Job machen.«
Ha, ha, ha. Hey, Doc, wenn Sie gerade dabei sind, könnten Sie vielleicht auch meine Seele wieder schön fest vernähen? Ich fürchte, sie löst sich an den Rändern langsam auf.
»Jaz?« Ich war so in die Erinnerung an unseren Aufent- halt im Krankenhaus versunken gewesen, dass ich über- rascht war, als ich aufblickte und mich neben Cassan- dra unter dem Vordach des Wohnmobils wiederfand, mit Kindergeschrei im Hintergrund und dem Duft von Grill- fleisch in der Luft, bei dem mir das Wasser im Mund zu- sammenlief. Sie stand auf. »Ich glaube, ich mache einen Spaziergang. Vielleicht bekomme ich davon einen klaren Kopf.«
»Okay.« Ich sah zu, wie sie ging. Als ich anschließend den Blick auf die Bucht richtete, war dort alles unver- ändert. Die Constance Malloy lag wie ein Pestgeschwür auf dem Wasser. »Man sollte das Miststück abfackeln«, murmelte ich. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es langsam Zeit wurde für das Setup. Obwohl wir die grund- legenden Teile aufgebaut und geprobt hatten, bis wir zumindest nicht mehr grottenschlecht waren, mussten wir uns noch um die Tontechnik und die Beleuchtung kümmern. Eindeutig Bergmans Gebiet, aber vielleicht konnte er ein wenig Hilfe gebrauchen. Ich wuchtete mich aus dem Liegestuhl, wobei verschiedene Wehwehchen mich daran erinnerten, dass es Zeit wurde für die nächste Dosis Schmerzmittel, und ging hinein, um nachzusehen, ob er einen Roadie gebrauchen konnte.
Er saß auf dem Boden, den Rücken an Mary-Kate ge- lehnt. Seine diversen Werkzeuge und Spielsachen hatte er wieder in ihren Kisten verstaut. Im Moment umklammer-
te er einen kleinen Plastikbecher, wie König Arthur wohl den Heiligen Gral umklammert hätte.
»Ich hab’s!«, hauchte er.
»Hast was?«
»Unsere Waffe! Hier, ich zeig es dir.« Er fischte eine rote Kapsel, die ungefähr so groß war wie eine Aspirin- tablette, aus dem Becher und reichte sie mir.
»Was ist das?«
»Ein neuraler Stimulator mit Zeitverzögerung, der Lungs Gehirn vermitteln wird, dass sein Körper einer hohen Dosis ultravioletter Strahlung ausgesetzt war. Es ist schwer zu erklären …«
»Selbst wenn du es erklären wolltest …«
»Was ich nicht will. Aber das Coolste ist, dass er seine Energie hauptsächlich aus Lungs Biochemie zieht!«
»Also … das Ding wird durch die Energie ausgelöst, die sein Körper abgibt?«
»Nicht nur ausgelöst, sondern in seiner Wirkung um das Hundertfache verstärkt. Er sollte innerhalb von zwei Stunden, nachdem er es eingenommen hat, tot sein.«
»Jetzt müssen wir also nur noch dafür sorgen, dass er rasende Kopfschmerzen bekommt?«
Bergman zuckte mit den Schultern. »Oder eine Hun- gerattacke. Wie auch immer ihr es schafft, dass er die Pille schluckt.«
Kopfschüttelnd musterte ich Bergman, und in meinem Blick lag eine neue Form des Respekts. »Darf ich dich etwas fragen, Miles?«
An der Art, wie er die Schultern hochzog, erkannte ich, dass er Nein sagen wollte. Doch er überraschte mich.
»Okay.«
»Warum tust du das?« Mit einer Geste umfasste ich den Monitor, auf dem die leeren Decks und Gänge der
Constance Malloy zu sehen waren, die Laptops auf dem Boden neben dem schlafenden Cole und die tödliche Pille in Bergmans Hand.
Er rückte seine Brille zurecht und versuchte mir in die Augen zu sehen, scheiterte aber. »Weil ich es muss«, mur- melte er. War ihm das peinlich? In diesem Moment war mir das egal.
»Nein, musst du nicht«, widersprach ich.
»Muss ich wohl«, beharrte er.
»Und wenn das nicht so wäre?«
Er trommelte mit den Fingern auf seinem Bein herum und starrte über meine Schulter hinweg auf den Fern- seher, während er darüber nachdachte. Dann sah er mich direkt an. »Dann wäre ich wahrscheinlich schon tot.«
»Wirklich? Wir kommst du darauf?«
»Langeweile. Weißt du, ich kann nicht so gut mit Men- schen.«
»Das könntest du ändern.«
Er schüttelte den Kopf. »Ich habe es versucht. Aus mei- nem Mund kommen immer wieder die falschen Sachen. Und ehrlich gesagt nerven mich die meisten Leute töd- lich. Ich bin lieber allein, als mich mit ihrer Blödheit he- rumschlagen zu müssen. Ich meine, ich muss mir nur zwei Minuten lang eine Reality-TV-Show anschauen, und schon weiß ich wieder, warum ich nie ausgehe. Wie dem auch sei, ich habe mich damit
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