Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)

Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)

Titel: Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Gruber
Vom Netzwerk:
dass Paps die fremde Dame vom Lesen abhält. Denn sie hat tatsächlich aufgehört zu lesen. Nach kürzester Zeit reden die beiden. Und reden. Und lachen. Auch die Dame. Die Bedienung bringt unseren Kaffee und den Kuchen, und die Dame bestellt sich noch einen zweiten Cappuccino. Zwischendurch redet mein Vater auch wieder mit uns (»Gut, der Kuchen!«). Wenn wir dann bezahlen, das heißt, wenn ich bezahle, dann klärt mein Vater die Dame auf, wer ich bin: »Mei’ Tochter zahlt immer, weil sie Angst hat, dass ich zu wenig Trinkgeld gebe, weil sie war selber amal Bedienung, wissen’s, haha!« Alles klar.
    Nach dem Bezahlen verabschieden uns meine Mama und ich mit einem freundlich-neutralen »Auf Wiederschaun und einen schönen Tag noch!« von der geduldigen Dame, während mein Vater überschwänglich-herzlich eine Lebensweisheit gratis mit dazu liefert: »Alles Gute, gell, und lassen Sie sich ned unterkriegen, weil es hängt ned immer nur auf eine Seit’n, gell!«
    Draußen fasst er dann das soeben mit der Dame Besprochene noch einmal für uns zusammen: »Nette Dame. Und gebildet, Lehrerin, gell. Ihr Mann war a Trottel. Abg’haut isser. Jetzt hat’s Schulden wegen der Doppelhaushälfte in Obermenzing draußen. Die wird’s demnächst verkaufen müssen. Mit’m Sohn hat’s auch ein bissl Probleme – der kommt nach’m Vater. Na wirklich: eine sehr nette Dame!«
    Nach der obligatorischen Kaffeestunde trennen sich unsere Wege immer: Mama und ich stürmen weiterhin die Shopping-Tempel, während Paps seine Streifzüge durch die Stadt fortsetzt. Denn mein Vater hasst nichts mehr als Einkaufengehen. Genauer gesagt, er hasst es, Klamotten einkaufen zu gehen. Der Satz, mit dem er – meist vergeblich – versucht, uns davon abzuhalten, ihm etwas Neues oder gar etwas Modisches unterzujubeln, lautet seit über vierzig Jahren: »Ich brauch nix, ich hab alles!«
    Der Trick, ihm dann doch Neues für den Kleiderschrank aufdrängen zu können, beinhaltet drei Grundregeln:
    Man darf ihn nie in ein Geschäft zur Anprobe mitnehmen, sondern muss ihn daheim, sprich in gewohnter Umgebung, zwischen »Rosenheim Cops« und »Heute Journal« zwingen, das Zeug, das in die Endausscheidung gelangt war, möglichst rasch durchzuprobieren.
    Mit gedeckten Farben verzögert sich die Kaufentscheidung: »Des is’ alles so fad, so dunkel, des mag ich ned.« Mit leuchtenden, kräftigen Farben dagegen kann man meist sofort bei ihm punkten: »Des is’ a schönes Blau, des is’ gut. Wie heißt des, sagst du?« – »Türkis, Babba.« – »Türkis, ja, des lass’ i mir ei’geh.« (Soll heißen, mit so einer positiven Farbe lasse ich mich leichter zur Kaufentscheidung überreden.)
    Grundregel im Sommer: einfarbige Poloshirts in Knallfarben. Argument dafür: »Babba, schau, die passen zu allem, da musst du ned lang überlegen!« Argument dagegen von ihm: »Ich brauch kein Poloshirt, ich hab scho in jeder Farbe eines!«
    Eigentlich besteht der Trick aus vier Grundregeln, denn ganz wichtig ist auch, dass man ihn nicht mit der verhassten Kleiderfrage belästigt, wenn er hungrig ist, das heißt, am besten folgt die Anprobe einer leichten Brotzeit mit passender Getränkebegleitung.
    Ein einziges Mal haben meine Mutter und ich ihn sozusagen kalt erwischt: Wir haben ihn ins Auto gepackt unter dem Vorwand, dass wir ein neues Lokal in Erding ausprobieren wollten, wo man gemütlich draußen sitzen kann und wo es jetzt dieses neue In-Getränk gab, Aperol Sprizz (das war zu einer Zeit, als die meisten Leute »Aperol« noch für ein Motorschmieröl hielten). Ein neues italienisches Getränk nach getaner Arbeit auf der Sonnenterrasse eines schönen neuen Lokals, dafür konnte sich mein Vater immer schon erwärmen.
    Auf dem Weg zu ebendiesem Lokal lag allerdings das »Gewandhaus Gruber« (kaum verwandt und schon gar nicht verschwägert), an dem mein Vater natürlich vorbeigehen wollte. Selbst als meine Mutter und ich beim Anblick der fesch dekorierten Schaufensterpuppen in entzückte »Ahs« und »Ohs« und »Schau amal« ausbrachen, federte er unsere Begeisterung mit den üblichen Worten ab: »Ich brauch nix, ich hab scho alles.« Unter dem Vorwand, uns nur »kurz« ein bissl im Laden umschauen zu wollen, zogen wir ihn in den zweiten Stock, wo meine Freundin Cordula, seit nunmehr über dreißig Jahren treue Angestellte des Gewandhauses und Spezialistin in Sachen Herrenmode, bereits an der Rolltreppe auf uns wartete, weil ich sie telefonisch auf unseren

Weitere Kostenlose Bücher