Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)
»Kurzbesuch« vorbereitet hatte. Sie empfing uns mit den Worten: »Servus beinand. Gruaber-Babb’, keine Angst, des hamma gleich, es tut auch nicht weh!«
Da mein Vater zu diesem Zeitpunkt immer noch der Meinung war, dass er sich nur zufällig in den Räumlichkeiten des Gewandhauses befand und der eigentliche Grund des Besuches wieder mal die Modelust seiner Damen war, ließ er sich von Cordula am Arm in Richtung der Umkleidekabinen führen. Erst als sie – mit Blick zu Mama und mir – sagte: »A kurze Hos’n braucht er, gell!«, da schwante ihm das Schlimmste, und er versuchte kurz vor der Kabine noch eine 180-Grad-Drehung mit dem üblichen Argument: »Kurze Hos’n? Brauch ich ned, ich hab alles … in allen Farben!« Doch Cordula schaffte es mit der ihr eigenen sanften Unerbittlichkeit sowie dem Gesamteinsatz ihrer weiblichen Rundungen, ihn zum Probieren von zwei Hosen zu bringen. Durch ihr extrem gutes Auge greift sie in 99,9 Prozent der Fälle zur passenden Größe, denn sie weiß nur zu gut: Jeder Fehlversuch würde – gerade bei modeunwilligen Männern – die Erfolgsquote des Probierprozesses verringern. Während mein Vater sich in der Umkleidekabine mit den zwei Hosen herumschlug und laut hörbar vor sich hin murmelte: »Also, was die mit mir treiben …«, wurden von uns Frauen im Schnelldurchlauf die Farben der Poloshirts bestimmt – Cordula hatte natürlich die richtigen Größen bereits vorsortiert. Als mein Vater in den neuen kurzen Hosen, aber mit den alten Socken an den Füßen aus der Kabine kam, wurden ihm noch von Cordulas ebenfalls eingeweihtem Kollegen Helmut zwei Gürtel unter die Nase gehalten mit den sparsamen Worten: »Der oder der? Ich tät’ den linken nehmen, der passt zu allem.«
Paps: »Ich hab alles.«
Helmut: »Dann passts ja.« Sprach’s und legte den linken Gürtel zu den restlichen Neuerwerbungen.
Als die Kaufentscheidung von Mama und mir gefallen war und wir uns bei Cordula für die generalstabsmäßig organisierte Vorbereitung des diffizilen Unterfangens bedankten, wandte sich Paps, der sich bereits unserem Kaufentschluss gebeugt hatte, an Cordulas Kollegen mit den Worten: »Du, Chef, wie schaut’s jetzt da aus: Wenn ich des alles nimm’, wie viel Prozente krieg ich dann?«
Meine Mutter meinte nur peinlich berührt: »Mei, jetzt fangt er s’Handeln an! Komm, mir schleichen uns und warten draußen!«
Gesagt, getan. Als mein Vater schließlich mit dem ungewollten Einkauf nach draußen kam, nahm ich ihm die Tüte ab, um das soeben vollzogene Geldausgeben wieder vergessen zu machen, und verstaute die Sachen im geparkten Auto, während meine Mutter ihn auf die Terrasse des neuen Lokals zog und drei Aperol Sprizz bestellte. Als er von dem pappig-orangenen, leicht bitteren Getränk probiert hatte, die Eiswürfel im Drink fröhlich-sommerlich vor sich hinschepperten und die bayerische Abendsonne uns ins Gesicht schien, da war die Tortur von eben bereits vergessen, und er meinte nur: »Heut habt’s mich wieder sauber ausgschmiert!«
Wenn wir allerdings in München unterwegs sind, dann geht mein Vater stets allein auf Tour, um dem lästigen Probieren zu entkommen. Haben wir nach einem langen Tag etwas für ihn mitgebracht, protestiert er sowieso immer. Hatten wir dagegen nur für uns Frauen geschaut, war es ihm lieber (»Wie’s euch ned zu blöd is, mir wär’ des zu blöd.«).
In der Regel lassen wir einen langen Münchentag bei ein paar Schoppen Frankenwein im Ratskeller ausklingen. Da hat Paps meist wieder einiges zu berichten, was immer so ganz nebenbei zwischen einer Olive und einem Stückchen Käse geschieht:
Paps: »Im Bayerischen Hof war ich auch.«
Ich: »Im Bayerischen Hof?!«
Mama: »Was hastn da gmacht?«
Paps: »Da hab ich den netten Herrn am Empfang gefragt, wie denn die Auslastung so is’, weil die Zimmer sind ja ned billig.«
Mama: »Geh, woher weißt’n du, was die Zimmer kosten?«
Paps: »Ich hab gefragt. Mechst ja gar ned glauben, dass des Hotel immer voll is’. Dann hab ich mir noch an Espresso kafft.«
Ich: »Wo?«
Paps: »Im Foyer. Die bringen dir an Espresso. Der war teuer, aber zum Schaun gibt’s da fei viel.«
Ich: »Du hast dich einfach ins Foyer vom Bayerischen Hof gesetzt und Kaffee trunken?«
Paps: »Freilich. Des derf ma. Da geht’s scho sehr nobel zu. (Ein Schluck Silvaner) Und die Uschi Glas hab ich troffa!«
Mama (verschluckt sich an ihrem Wein) : »Die Uschi Glas … hast du troffa?«
Ich (zögerlich) : »Aber du
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