Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)
hast ned geredt mit ihr … oder??«
Er: »Freilich. Ich hab zu ihr gsag: ›Uschi, gut schaust aus, aber mager bist!‹«
Vor vielen Jahren einmal saßen meine Eltern und ich im alten Café Kreutzkamm inmitten von älteren Damen mit ondulierten, bläulich gefärbten Haaren und Trachtenhüten bei einer sehr feinen Münchnerin am Tisch. Sie hatte uns nur recht widerwillig bei sich Platz nehmen lassen, denn Small Talk mit etwas unpassend gekleideter Landbevölkerung stand offensichtlich nicht auf der Liste ihrer Lieblingsbeschäftigungen. Sie selbst war hochelegant, äußerst akkurat frisiert, und während sie sich sorgfältig ihre korallenroten Lippen mithilfe eines antiken Spiegelchens nachschminkte, bemerkte ich die vielen wertvollen Ringe an ihren manikürten Händen. Meine Mutter, von der ich mein Faible für Schmuck geerbt habe (genauso wie mein Faible für Schuhe, Taschen, Hüte, Schals, Kosmetik, Cremetorten, Orchideen und Heiligenfiguren), bemerkte sie ebenfalls, denn sie gab mir unter dem Tisch einen Stoß und deutete mit ihrem Kopf in Richtung der wertvollen Preziosen. Und fast unhörbar presste mir meine Mutter ein den offensichtlichen materiellen Wohlstand der Dame anerkennendes »Schaug’s an, die Oid!« (die Alte) entgegen.
Mein Vater dagegen, dem jegliche Berührungsängste fremd waren, verwickelte die Dame unmittelbar nachdem sie ihr Schminkspiegelchen wieder in ihr Krokotäschen gepackt hatte in ein Gespräch über München im Allgemeinen und die Kriegsgeneration im Besonderen (»Sind’s öfter da? Des Café gibt’s ja scho ganz lang, gell. Des weiß ich immer scho!«).
War die feine Dame anfangs noch recht mürrisch und wortkarg, so kochte mein Vater sie jedoch in kürzester Zeit mithilfe von kleinen Komplimenten (»Was? Sechsundachzig san Sie schon? Da ham Sie sich aber sehr gut gehalten …!«) so weich, dass sie uns schließlich zu einem Gläschen Sekt einladen wollte. Mein Vater lehnte jedoch dankend ab (»Mir müssen noch a Häusl weida, verstengans?«), und beim Rausgehen stellte meine Mutter – die Konversationskünste meines Vaters neidlos anerkennend – fest: »Wenn du a bissl länger blieben wärst, dann hätt’ sie dir ihre Villa in Grünwald vermacht!« Derlei schnöde Gedanken hatte mein Vater nie, deshalb meinte er einfach: »A feine Dame, a sehr feine Dame. Sehr reiche Familie. Die ham im Krieg alles verloren. Aber ihren Humor hat’s noch!«
Vor einigen Jahren hatte ich meine Eltern zu einem Sizilienurlaub eingeladen als kleinen Ausgleich für die vielen enttäuschten Hoffnungen und schlaflosen Nächte, die sie meinetwegen hatten. Ich hatte ein wunderschönes Hotel in Taormina genau unterhalb des berühmten Amphitheaters ausgesucht, von dessen Terrasse man einen herrlichen Blick über die Bucht hatte. Eines Morgens saß ich bereits beim Frühstück, als meine Mutter sich zu mir setzte. Allein.
Ich fragte: »Wo is’n da Babba?«
Sie: »Keine Ahnung. Wie ich aufgewacht bin, war er weg.«
Ich: »Wie? Weg?«
Sie: »Weg halt.«
Ich: »Ja, der kann doch ned einfach weg sein. Wo geht denn der hin? Der spricht ja kein Wort Italienisch!«
Sie: »Geh, des is’ doch am Babb’ wurscht. Kennst’n ja!«
Kaum hatte sie diese wahren Worte gelassen ausgesprochen, bog Paps fröhlich pfeifend im heute azurblauen Poloshirt mit offensichtlich frischem Haarschnitt um die Ecke und ließ sich genüsslich in den weich gepolsterten Sessel neben Muttern plumpsen:
Ich: »Wo warst’n du?«
Er: »Beim Friseur?«
Ich: »Ja, wo denn?«
Er (hinter sich deutend): »Do unten im Ort. Den hab ich gestern scho gesehen und i hab mir denkt, da gehst heut hin. Netter Kerl. Mir ham uns sehr gut unterhalten.«
Ich: »Ja, hat der Deutsch gesprochen, der Friseur?«
Er: »Ah wo, kein Wort.«
Ich: »Ja, und wie – ich mein’, über was habt’s ihr euch dann unterhalten?«
Er: »Mei, des is’ überall desselbe.«
Mama: »Was is’ überall desselbe?«
Er: »Schau, die ham dieselben Probleme wie mir halt auch.«
Mama: »Was für Probleme?«
Er: »Ja, mit der Damenwelt halt. (Pause) Und an sehr guten Espresso hat er gehabt.«
Ich: »Aha. Ja, und dann bist ins Hotel zurück ganga?«
Er: »Na, dann hab ich mi noch a bissl aufn Marktplatz hingsetzt. Da sitzen die ganzen Alten im Schatten und trinken in da Früh scho an Wein. Des gefällt mir! ( Er beißt in eine halbe Semmel, die er vom Teller meiner Mutter stibitzt hat.) Überhaupt des Sizilien, des gefällt mir. Da is’ was los.«
Der
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