Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)
kommunikativen Art meines Vaters ist es wohl außerdem geschuldet, dass er jedem alles verkaufen kann. Und er tut es auch. Alles, was in und um unseren Hof nicht niet- und nagelfest ist und nicht mehr gebraucht wird, wird verhökert. Dies geschieht meist mittels Zeitungsannoncen, die mein Vater aufgibt. Meist annonciert er etwas, ohne meine Mutter vorher zu informieren. Oft sind es Einzelteile oder landwirtschaftliche Geräte, oder Teile von landwirtschaftlichen Geräten, wo sie weder weiß, wie sie aussehen, noch, wo sich selbige auf unserem Hof befinden. Und wenn bereits vor dem Frühstück zehnmal das Telefon klingelt, dann weiß sie: Der Papa hat wieder eine Annonce in der Zeitung aufgegeben. Bloß, was für ein Trumm hat er diesmal annonciert? Meist wird sie das im Laufe des Tages herausfinden, denn spätestens wenn die ersten Interessenten um unser Wohnhaus herumschleichen, dann ist Paps wieder zur Stelle, denn da beginnt für ihn ja der interessante Teil des Geschäfts (»Und? Habt’s ihr bei euch die Wintergerstn scho baut? An Erben für’n Hof habt’s? Hat der scho a Frau?«)
Noch tagelang, auch nachdem das jeweilige Teil schon verkauft ist, läutet oft mehrere Dutzend Male das Telefon, und meine Mutter beantwortet jeden Anruf geduldig. Wahrscheinlich fürchtet sie, dass mein Vater auch sie irgendwann einmal verhökern könnte. Mithilfe einer Kleinanzeige im »Landwirtschaftlichen Wochenblatt« nach dem Motto: »Mei, a Frau in dem Sinn brauch ja ich keine mehr, seit mir keine Viecher mehr ham!« Und da geht sie lieber selbst ans Telefon.
Wissen Sie, was ich neben seiner positiven Lebenseinstellung und seiner Neugier auf Menschen am meisten an meinem Vater bewundere? Die Tatsache, dass er völlig vorurteilsfrei ist, denn in den zweiundvierzig Jahren, die ich ihn kenne, habe ich ihn nicht einmal über einen anderen Menschen sagen hören: »Des is’ vielleicht ein Depp!« Er sagt immer nur: »Mei, der is’ halt anders, weißt!«
Und wenn ich meinen Vater mit einer kurzen Geschichte skizzieren müsste à la »Machen Sie eine typische Handbewegung!«, dann würde ich immer folgende erzählen:
Vor einigen Jahren hatte mein Vater unsere ganze Familie zu einem Notartermin beordert, um alles festzulegen, was es eben im letzten Lebensdrittel festzulegen gilt: Verteilung des Erbes, Patientenverfügung et cetera. Meine Brüder, mein Vater, meine Mutter und ich saßen also im Büro des Erdinger Notars Herrn Dr. K., schön um dessen Besprechungstisch drapiert. Als wir alle unsere Personalausweise abgegeben hatten, hielt der gute Herr Dr. K. plötzlich inne und starrte eine Zeitlang auf den Ausweis meines Vaters. Ich meine sogar, eine leichte Blässe um seine Nasenspitze erkannt zu haben. Etwas um Fassung ringend, sagte er zu meinem Vater: »Ja, aber, Herr Gruber, bei Ihrem Ausweis, da fehlt ja ein ganzes Stück!«
Und mein Vater antwortete wie selbstverständlich: »Ja, freilich. Des hab ich abgeschnitten, sonst hätt’ er nicht in den Geldbeutel nei’passt!«
Meine Brüder und ich schauten uns eine Zehntelsekunde lang an, um dann in schallendes Gelächter auszubrechen, meine Mutter schüttelte leicht beschämt den Kopf, während sich mein Vater zufrieden zurücklehnte und sich offensichtlich freute, dass er (wieder einmal) dem Amtsschimmel ein Schnippchen geschlagen und selbst einen staubtrockenen Notartermin mit einer Prise Gruber’schem Humor versehen hatte.
Herr Dr. K. blickte mit einer Mischung aus Fassungslosigkeit und Amüsement in die launige Runde und fuhr nach kurzem Zögern einfach mit dem Prozedere fort, weil – mal ehrlich – : Was hätte es gebracht, die ganze Gruber-Sippe heimzuschicken und den Termin auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben, nur weil ein kleines amtliches Dokument ungültig gemacht worden war? Ich glaube, Herr Dr. K. hatte auch ein klein wenig Angst, dass wir eine Woche später wieder in seinem Büro auftauchen würden mit einem neugeborenen Kalb oder zwanzig Stangen Presssack im Gepäck, um seine Rechnung mit Naturalien zu begleichen.
Mein Vater ist soeben fünfundsiebzig Jahre alt geworden, sieht dabei aber locker zehn Jahre jünger aus, und wenn ihn die Leute fragen, wie es ihm geht, dann sagt er immer: »Gut geht’s mir. Nur die Zeit geht mir aus!« Denn er hat noch viel vor: meinem Bruder helfen, den Hof weiter zu bewirtschaften, seinen Enkeln beim Aufwachsen zuschauen, ihnen Pfeil und Bogen basteln und gemeinsam mit ihnen morgens – trotz heftiger Proteste
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