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Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)

Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)

Titel: Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Gruber
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abzufedern.
    Jeder Ernährungsexperte würde bei dieser Art von Ernährung, die zum großen Teil aus tierischen Fetten und Eiweiß, aus Zucker, Butter und Butterschmalz bestand, die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, aber die beiden waren so gut wie nie krank und wurden ziemlich alt.
    Nach dem Abendessen und wenn im Radio das legendäre »Betthupferl« vorbei war, durften wir mit dem Opa noch ein bisschen Brettspiele spielen: Mühle und Mensch-ärgere-dich-nicht und ein besonderes Spiel, das ich nur von unserem Opa kannte: Fuchsmühle. Das Brett dazu hatte er selbst geschnitzt, und die Figuren waren einfache, unterschiedlich große Holzstücke: Fuchs und Hühner. Ich weiß leider nicht mehr genau, wie das Spiel funktionierte, man musste aber auf jeden Fall seine Hühner schnell genug in den Stall bekommen, bevor der böse Fuchs sie fressen konnte. Mein Bruder Seppi hat das Spiel stundenlang hingebungsvoll gespielt und war dabei oft auf dem Schoß vom Opa gesessen. Einmal hat er ihm sogar in einem Anfall spontaner kindlicher Zuneigung ein Bussi gegeben, worauf der Opa gleich so gerührt war, dass er wieder Tränen in den Augen hatte. Wie bei der Prinzregententorte. Zum Beichten ist der Opa wegen des Bussis meines Wissens am nächsten Tag nicht gefahren, was wahrscheinlich daran lag, dass ein Kind noch nicht in der Lage ist zu sündigen, wie uns der Opa immer versichert hat.
    Wir Kinder konnten uns unsere Familie ohne den Opa gar nicht vorstellen. Wer hätte sonst mit uns Brettspiele gespielt, unsere Räder repariert, uns Pfeil und Bogen geschnitzt, uns ein Kutschenwagerl für unsere Ponys gezimmert. Für uns war der Onkel Miche einfach unser Opa. Aber man stelle sich vor, was heutzutage los wäre, wenn eine junge Frau am Tag ihrer Hochzeit mehr oder weniger mitbekommt, dass sie in Zukunft für ein Familienmitglied mehr kochen, waschen und putzen darf. Und nicht etwa, weil sie ein Baby bekommt. Nein, weil ein alter, frommer Onkel ihres soeben angetrauten Gatten beschlossen hat, wieder in sein uraltes Zimmer, das man aus Pietätsgründen von der Generalrenovierung des Hauses ausgeschlossen hat, einzuziehen. Und ab diesem Tag isst er mit ihr, ihrem Mann und ihrer Schwiegermutter am Esstisch, benutzt dasselbe Bad, dieselbe Toilette und sitzt abends gemeinsam mit ihr und ihrem Mann – und nicht zu vergessen der Schwiegermutter – im Wohnzimmer vor dem Fernseher. Gut, man muss fairerweise dazusagen, dass der Opa meistens nie länger als eine Viertelstunde vor dem Fernseher saß, weil bereits damals schon völlig schambefreite Schauspieler auf der Mattscheibe Dinge taten, die in den Augen meines Opas mehr als sittlich fragwürdig waren. Im schlimmsten Fall küssten sie sich sogar. Das war schon fast ein Fall für die Morgenbeichte, aber natürlich der Punkt, auf den wir Kinder abends immer warteten, weil wir wussten, dass das für unseren Opa das Stichwort sein würde, denn bereits kurz vor dem Aufeinandertreffen zweier Lippenpaare stand er auf und meinte: »Ja, i werd dann ins Bett geh’.«
    Wenn meine Mutter von frisch verheirateten Paaren hört, wo es Zoff gibt, weil sie mit ihren Eltern oder Schwiegereltern zwar in getrennten Wohnungen, aber doch in einem Haus zusammenleben müssen, sagt sie immer: »Mei, die wissen alle gar ned, wie schön’s sie’s ham. Was daadn die erst macha, wenn die morgens in ihr Bad gehen daadn, und da hockt scho einer!?«
    Meine Eltern dagegen haben einfach akzeptiert, dass der Miche da ist und dableiben wird und dass er als Teil der Familie selbstverständlich nichts für Essen und Unterkunft abzugeben hat – das hätten sie auch nie von uns Kindern verlangt – und dass er seine ganze Rente für die Armen spendete. Ihnen war auch klar, dass sie ihn pflegen würden, wenn es eines Tages so weit sein sollte. Und als es so weit war, taten meine Eltern einfach, was getan werden musste, ohne etwas zu verlangen oder etwas dafür zu wollen. Wenn sie ab und zu für ein oder zwei Tage nach Bad Füssing zum Erholen fuhren, dann schrieben sie meinen Brüdern und mir immer einen Zettel mit allen Aufgaben, die wir in Haus und auf dem Hof zu erledigen hatten: Balkonblumen gießen, die Kälbermilch in einem ganz bestimmten Mischverhältnis zusammenrühren, Tomaten, Erdbeeren und Himbeeren ernten, Zuckerrüben spritzen et cetera. Und der letzte Punkt auf der Liste war immer: Opa füttern und wickeln nicht vergessen.
    Sie wussten natürlich, dass er sie niemals in seinem Testament berücksichtigen

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