Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)

Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)

Titel: Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Gruber
Vom Netzwerk:
würde, denn alles, was übrig sein sollte, sollten die Armen bekommen. Erst als er schwer krank wurde und sie ihn zu Hause nicht mehr pflegen konnten, kam er in ein Pflegeheim, was er aber selber nicht mehr mitbekam und wo er bereits nach ein paar Monaten starb. Der Opa Miche wurde fünfundneunzig Jahre alt.

Das Häusl
    Als ich acht Jahre alt war, bekam ich mein erstes eigenes Haus. Eigentlich gehörte es nicht mir allein, sondern es war auch für meine jüngeren Brüder, Seppi und Chris, gedacht. Und es war auch nicht wirklich ein richtiges Haus, sondern meine Mutter hatte ein altes Hühnerhaus aus Holz mit einem grauen Blechdach für uns renoviert, damit wir es als Spielhäuschen benutzen konnten. Das Häusl stand auf Rädern, hatte die Größe eines Imbisswagens und auch ein fast ebenso großes Fenster auf der Längsseite, wie es Imbiss- oder Verkaufswägen normalerweise haben, durch das wir Kinder zur Not auch mal schnell klettern konnten, wenn zum Beispiel feindliche Banden aus dem Oberdorf vor der Haustür lauerten. Allerdings musste man aufpassen, dass man nicht in das Blumenkistl mit Geranien und Petunien trat, das meine Mutter als Zierde mit zwei Eisenhaken vor dem Fenster befestigt hatte. In das Häusl gelangte man über zwei Holzblöcke, die als Stufen dienten und auf der linken Seite des Häusls in den ersten Raum führten: die Küche. Die Einrichtung der Küche gab alles her, was ein damaliger Haushalt benötigte: Aus einem Holzblock hatte mein Vater uns einen Herd gemacht, auf dem wir mit Kreide die Herdplatten eingezeichnet hatten. Der Herd hatte zwar kein Backrohr, aber das stellten wir einfach aus mehreren großen Holzscheiten zusammen. Diverse Obstkisten, Schachteln und weitere Holzblöcke bildeten Schränke, Stauraum und Ablageflächen. Außerdem hatten wir jede Menge richtiges Geschirr, Porzellanteller (teilweise noch mit Hakenkreuz hintendrauf), Blechschüsseln und Besteck, das aus sehr leichtem Material und bereits etwas angerostet war, und sogar eine kleine gusseiserne Pfanne, die wir auf dem Speicher beziehungsweise im Schuppen gefunden hatten. Als Gläser dienten ausgewaschene Joghurtbecher, Geschirrtücher staubten wir ebenso wie einen kleinen Besen und eine Plastikschaufel in Mamas Küche ab.
    Von der Küche führte ein kleiner Durchgang in den Hauptraum unseres Häusls: das Wohn- und Esszimmer. Das Kernstück dieses Zimmers bildete eine verschlissene Couch in nicht näher zu definierendem Grün, die immer leicht modrig-feucht roch und die unser Vater für sein Mittagsschläfchen zu nutzen pflegte. Vermutlich weil es der einzige Platz war, an dem ihn unsere Mutter nie vermutet hätte. Irgendwie schaffte er es immer früher als wir, nach dem Mittagessen die Küche zu verlassen und sich aus dem Haus zu schleichen. Wenn wir dann in die Nähe unseres Häusls kamen, hörten wir immer schon von Weitem ein gewaltiges Grunzen und Schnarchen. Ein Wunder, dass das wacklige Häusl nie unter den Höllenlauten meines Vaters auseinandergebrochen ist.
    Aber wir mussten seine mittäglichen Schnarchorgien tolerieren, denn schließlich half er uns bei der weiteren Einrichtung: Er hatte nämlich ein Brett im Wohnzimmer an die Trennwand zur Küche geschraubt, das uns als Tisch diente. Zum Tisch hatte er eine passende Bank selbst gezimmert, und als zusätzliche Sitzgelegenheit hatten wir große, bunte Waschmitteltonnen, die wir umdrehten, weil die Deckel meist nicht mehr auffindbar waren. Aus einem alten Rest geblümtem Kleiderstoff nähte meine Mutter uns zwei Vorhänge, die sie uns innen in unserem Wohnzimmer an einem Eisengestänge befestigte, sodass wir sogar untertags unseren Wohnraum verdunkeln und »Nacht« spielen konnten.
    Aber wir hatten nicht nur ein Haus, sondern sogar ein Auto. Und eine Kutsche! Denn wir wussten damals schon: Wer auf dem Land lebt, der muss mobil sein, sonst ist man dazu verdammt, in seinem Kaff zu hocken, und sieht gar nichts von der großen, weiten Welt.
    Die Kutsche war ein von unserem Opa zusammengezimmertes Bretterwägelchen mit Gummibereifung und einer Sitzbank, das perfekt war, um genau ein mittelgroßes Pony davorzuspannen. Denn natürlich hatten wir auch ein Pony, und zwar das bravste, verfressenste, faulste und gutmütigste Pony aller Zeiten: Schneewittchen. Sie hieß Schneewittchen, weil sie nicht nur ein weißes Fell, sondern auch eine weiße zottelige Mähne hatte, und da sie nur ein Stockmaß (die Höhe des mittigen, durchhängenden Rumpfes des gwamperten

Weitere Kostenlose Bücher