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Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)

Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)

Titel: Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Gruber
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Mutter durchaus an die Kraft der Seelen und zum Beispiel auch daran glaubt, dass sich manche Menschen bei ihrem Ableben von den Personen, die ihnen nahestanden, durch bestimmte Zeichen verabschieden. Sie wachte zum Beispiel eines Nachts auf und konnte gar nicht mehr einschlafen, weil sie so erschrocken war. Sie hatte nämlich das Gefühl gehabt, dass jemand ihre Hand genommen und laut zu ihr gesagt hatte: »Leni, vergelt’s Gott!« Als sie meinem Vater am nächsten Morgen davon erzählte, sagte sie nur: »Da is’ jemand gestorben!« Mein Vater allerdings, der mit übernatürlichen Kräften gar nichts am Hut hat, meinte nur: »Geh, was du schon wieder zammträumst!« Als sie dann aber beim Frühstück saßen, klingelte das Telefon. Mein Vater nahm das Gespräch entgegen. Am Telefon war der Scherer Wasti, der Cousin meines Vaters, der ihm berichtete, dass sein Vater letzte Nacht gestorben sei. Und meine Mutter wusste Bescheid. Denn der Vater vom Scherer Wasti, der alte Scherer von Grucking, hatte oft von meiner Mutter Schmalzgebackenes bekommen, das wir Kinder immer in einer Bäckertüte mit dem Fahrrad nach Grucking fahren mussten. Oft war er auch nicht da, dann hängten wir das frische Gebäck, das der alte Scherer so liebte, einfach an die Haustür. Und wenn er an einem der nächsten Sonntage meine Mutter nach der Kirche auf dem Weg zum Auto traf, dann hielt er sich mit der einen Hand an seinem Gehstock fest, und mit der anderen nahm er die Hand meiner Mutter, drückte sie ganz fest und sagte leise immer dieselben Worte: »Leni, vergelt’s Gott!«
    Auch unser Opa war der Meinung, dass manche arme Seele im Jenseits aus irgendeinem Grund keinen Frieden finden könne und deshalb »umeinandergeistern« müsse. So erzählte er uns immer folgende Geschichte, die uns Kinder jedes Mal so faszinierte, dass wir wieder am ganzen Körper Gänsehaut bekamen, obwohl wir sie schon oft gehört hatten und auch nicht wussten, ob sie überhaupt wahr war oder ob sich der Opa sie nur ausgedacht hatte, um uns ein bissl Angst zu machen:
    In unserem Nachbarort gab es eine Magd, die auf einem Bauernhof lebte, der direkt an die Dorfkirche und den Friedhof angrenzte. Eines Nachts konnte die Magd nicht schlafen, weil sie merkte, dass ein helles Licht in ihre Kammer schien, aber der Vollmond konnte es nicht sein. Also stand sie auf, um nachzuschauen, woher das Licht kam. Als sie aus dem Fenster blickte, stellte sie fest, dass in der Kirche gegenüber Licht brannte. Da musste wohl der alte Dorfmesner, der allmählich immer tattriger wurde, vergessen haben, die Kerzen auszublasen. Da die Magd für den Altar- und den Blumenschmuck in der Kirche zuständig war, befürchtete sie, dass eventuell das schöne geklöppelte Tischtuch am Altar durch die Kerzen beschädigt werden könnte, also warf sie sich ein wollenes Tuch über ihr langes Nachthemd, schlüpfte in ihre Pantoffeln und machte sich auf in Richtung Friedhof. Sie hatte keine Angst vor dem Friedhof oder den Gräbern, denn – wie die Knechte auf ihrem Hof immer sagten – die Toten, die dort begraben lagen, waren ja tot, und »Angst muss ma nur vor die Lebenden ham!«
    Als sie sich aber der Kirchentür näherte, hörte sie plötzlich Musik. Nein, sie täuschte sich nicht: Aus dem Kirchenschiff war leise Orgelmusik zu vernehmen, und da wurde ihr, der ansonsten so Furchtlosen, doch allmählich etwas unheimlich. Denn wer könnte denn um diese Nachtzeit die Orgel spielen? Der Organist wohnte doch zwei Dörfer weiter. Langsam zog sie die schwere Kirchentür auf, die sich knarrend öffnete, und als sie einen Schritt über die Schwelle machte, erblickte sie etwas, das sie am ganzen Körper erschauern ließ: Die ganze Kirche war gefüllt mit Menschen, die sich bei ihrem Eintreten umdrehten und sie ansahen. Und sie erkannte einige der schwarz gekleideten Anwesenden: Es waren allesamt verstorbene Gemeindemitglieder, in deren bleiche Gesichter sie blickte. Es waren Jüngere und Ältere, sogar Kinder unter ihnen. Eine grauenvolle unbändige Angst überfiel sie, und mit einem lauten Schrei ließ sie ihre Kerze fallen. Sie musste dort weg, bevor eine der Gestalten aufstehen und ihr nachrennen würde. Sie drehte sich um, wollte im Dunkeln nach draußen laufen, aber das Nachthemd war so lang, dass sie sich immer darin verhedderte, so als ob jemand ihr von hinten mit Absicht drauftrat, um sie festzuhalten. Sie riss panisch an ihrem Nachthemd, kam frei, stolperte fast und lief durch den Friedhof nach

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