Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)
heim, dass heute einer der Stammgäste einem weithin bekannten Häuslschleicha, der früher heimging als die anderen, zurief: »Ah, muasst noch zum Café Härtl fahren und an Kuacha kaufen für dei’ Sonntagstour?« Unter großem allgemeinen Gelächter zog der so Verspottete von dannen, nur um demjenigen, der ihn aufgezogen hatte, ein paar Tage später ein anwaltliches Schreiben zukommen zu lassen, um sich vor künftigen Spotttiraden zu schützen. Manchmal wächst eben der Verstand mit dem Ego nicht mit.
Wenn aber nun das Opfer sich als Teil der Familie des Häuslschleichas fühlt, dann wird es natürlich allmählich Zeit, die Zuwendungen zu kanalisieren, denn der ganze Kuchen, die ganzen Hendln auf diversen Dorffesten, vom Benzingeld ganz zu schweigen, die wollen unterm Strich verrechnet sein. Deshalb geht der Häuslschleicha jetzt zur nächsten Stufe über:
Stufe 4: das »Wuiseln« . Unter »Wuiseln« versteht man in Bayern den Vorgang des Jammerns und Sich-Beklagens, wobei mit »Wuisler« durchaus nicht nur ein Jammerer, sondern auch ein Waschlappen gemeint sein kann.
Jedenfalls muss unser Häuslschleicha jetzt schauen, dass es ihm seine zu erwartende Ernte nicht noch verhagelt, indem die Tante Maria oder der Opa Hermann vielleicht – angeregt durch eine besonders schöne Sonntagspredigt – auf die Idee käme, das ganze schöne »Sach« der katholischen Kirche oder – viel schlimmer – dem Tierheim oder einem Kinderhospiz zu vermachen. Deshalb wird er seine eigene finanzielle Situation aufs Trübste schildern: »An neuen Kuhstall brauchert ma halt, damits weitergehen kannt, aber heid geht ja nur noch alles mit Melkroboter, was meinst, was des kost?« Die Zukunft der Opfer hingegen wird er natürlich aufs Rosigste darstellen: »Mir san halt immer da, mir fahren ned amal in Urlaub, mei Frau und ich. Also, mir san immer da, wenn mit euch amal was waar, gell, und wia leicht is’ was!? Aber ihr brauchts bloß anrufen, schon san mir do. Und wennts ihr wirklich amal a Vollzeitpflege brauchts, dann holen mir halt a Polin. Für die san sechshundert Euro im Monat an Hauffa Geld, des verdient die daheim nicht im ganzen Jahr!«
Angesichts so viel familiärer Besorgnis ist meistens davon auszugehen, dass das ahnungslose Opfer den Häuslschleicha irgendwann mit einem Notarbesuch belohnen wird. Und wenn nicht, dann bleibt ihm immer noch Stufe 5, die er – ein klein wenig allerdings nur – auch in Stufe 4 schon aufgreifen wird, nämlich:
Stufe 5: das Drohen . Der Häuslschleicha wird hierbei niemals mit Gewalt oder Ähnlichem drohen, aber es wird durchaus klarstellen, dass ohne seine künftige Unterstützung und Zuwendung dem Opfer in Zukunft neben Vereinsamung und dem Verlust der soeben erstandenen Enkelkinder drohe, dass dessen Betrieb herunterkommen werde, weil jetzt kein »Gscheiter« mehr da sei, der sich anständig darum kümmern könne. Und was könnte man einem alten Menschen, der sein Leben lang Haus und Hof in Schuss gehalten und hart gearbeitet hat, Schlimmeres androhen, als dass sein Lebenswerk der Verwahrlosung anheimfallen werde.
Jetzt werden Sie – völlig zu Recht – anmerken: Ja, aber wenn dieser sogenannte Häuslschleicha sich doch um die alten Menschen kümmert und ihren Betrieb in Ordnung hält, dann ist es doch mehr oder weniger legitim, dass er das Ganze nach dem Ableben der Alten erbt? Sicherlich, aber es gab bei uns auch schon Fälle, da wurde dem Erbschleicher Haus und Hof schon zu Lebzeiten notariell überschrieben, im Gegenzug zu einer angemessenen Leibrente, was sich dann als großer Fehler erwiesen hat: Die alten Leute wurden relativ zeitnah in ein Altersheim verfrachtet und haben ihren Hof, auf dem sie ihr ganzes Leben verbracht hatten, nie wiedergesehen. Und komischerweise gab es sonntags auch keine feine Torte vom Café Härtl mehr, sondern nur noch den trockenen Kuchen aus der Küche des Altersheims.
Die armen Seelen
Wie alle Kinder wollten wir von unserem Opa neben den Geschichten aus seiner Kindheit aus »der schweren Zeit«, wie der Opa sie immer nannte, vor allem unheimliche Geistergeschichten hören, nur um uns dann hinterher verängstigt bei unserer Mama zu versichern: »Gell, Mama, des stimmt alles gar ned. Es gibt keine Geister und Gespenster.« Und natürlich beruhigte uns unsere Mutter jedes Mal mit den tröstenden Worten: »Naa, Kinder, des sind alles nur Märchen, Geister gibt’s keine.«
Sie sagte das natürlich, damit wir keine Albträume bekamen, obwohl meine
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