Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)
Regel plant er seine ausgeklügelten Schachzüge mit geradezu militärischer Präzision. Er greift dabei meist auf die sogenannte Fünf-Stufen-Taktik zurück:
Stufe 1: das Kuchenpräsent . Das alte Sprichwort »Mit Speck fängt man Mäuse« müsste umgesetzt auf unseren Häuslschleicha heißen: »Mit Kuchen kommt man zu Baugrund«, denn jedes Anwanzen und Einschmeicheln (auf Bayerisch auch gern als »Hi’schmusen« oder »Hi’schmeichen« bezeichnet) lässt sich am harmlosesten und unverfänglichsten gestalten, wenn man bei seinem Opfer an einem faden Sonntagnachmittag – am besten unangekündigt – mit ein paar Stückl Kuchen aufschlägt. Dabei ist es besonders wichtig, dass man keinen selbst gebackenen Kuchen mitbringt, sondern auf einen Kuchen, der in einer ortsansässigen Konditorei gekauft wurde, zurückgreift. Dieser ist zum einen schön ordentlich und appetitlich verpackt, und zum anderen macht es in Bayern immer Eindruck, wenn Geld ausgegeben wurde. Das hebt das Selbstbewusstsein und steigert die Wertigkeit des Besuches. Der fortgeschrittene Häuslschleicha wird sowieso nur Creme- oder Sahnetorten mitbringen, denn Alltagsbackwerk wie trockene Kuchen gibt es im Zweifel im Opferhaushalt auch mal unter der Woche, und darüber hinaus sind Torten teurer (siehe oben).
Der Häuslschleicha achtet peinlich genau darauf, sein Opfer nicht zu überfordern, das heißt, er wird am Anfang nicht gleich seine komplette Familie mitbringen. Es soll schließlich so aussehen, als sei ihm diese nette Geste mit dem Sonntagskuchen spontan eingefallen, als er gerade dabei war, nach seiner Sommergerste zu schauen, die sich zufällig ganz in der Nähe des Opferanwesens befindet.
Allerdings wird er bei weiteren Besuchen anfangen, eine Art familiäre Verbindung zum Opfer herzustellen, er begibt sich also auf eine Art Kuschelkurs. Und damit wären wir bei der nächsten Stufe des Anschleichens:
Stufe 2: der »Kindertrumpf« . Wer könnte für diese Taktik der Familienanbindung besser geeignet sein als die junge, adrette Gattin des Häuslschleichas, am besten in einem feschen, aber nicht zu überkandidelten Dirndl, wobei die superkurzen und spitzenüberladenen Pornovariationen mit Swarowski-Applikationen, die man so häufig auf der Wiesn sieht, hierfür natürlich nicht infrage kommen. Für die Herstellung künstlicher Familienbande schreckt der Häuslschleicha auch vom Einsatz seines Nachwuchses nicht zurück, im Gegenteil. Am besten eignen sich Kinder zwischen drei und vier Jahren, da sie dann erstens gerade bei kinderlosen Frauen den Großmutter-Instinkt am leichtesten wecken und zweitens bereits kommunizieren können, dabei aber Anweisungen der Eltern noch meist kritiklos umsetzen, wie zum Beispiel:
»So, jetzt geh’ schön hin zur Tante Maria und gib ihr die Hand!«
Dass es sich bei der zu begrüßenden Frau natürlich nicht um die leibliche Tante des Kindes handelt, muss wohl nicht extra erwähnt werden. Hilfreich ist auch, dass Kinder in diesem Alter mit hoher Wahrscheinlichkeit sauber sind, das heißt, kein störender Fäkalgeruch aus einer vollen Windel kann das diffizile Unterfangen des Anwanzens torpedieren.
Kennt das Opfer nun die gesamte Familie des Häuslschleichas, geht er zu Stufe 3 seiner Taktik über:
Stufe 3: Gassigehen mit dem Opfer. Der Häuslschleicha geht nun zum perfidesten Punkt seines Schlachtplans über, nämlich der ganzen Gemeinde zu demonstrieren, dass er zusammen mit seiner ganzen Familie schon seit Längerem ein enges Verhältnis zum Opfer hat. Aus diesem Grund wird die Tante Maria oder der Opa Hermann vom Häuslschleicha auf Dorffeste, Grillfeiern oder Volksfeste mitgeschleift, wo das Opfer – wie selbstverständlich – die Betreuung der Kleinkinder übernimmt, wie es sich für eine gute Tante oder einen guten Opa eben gehört.
Mit diesem Schachzug versucht man, etwaigem Gerede der Nachbarn und Bekannten den Wind aus den Segeln zu nehmen, was natürlich zum Gegenteil führt. Trotzdem hat sich bisher noch niemand in der Öffentlichkeit gegen einen dorfbekannten Häuslschleicha etwas zu sagen getraut. Daheim, in den eigenen vier Wänden, da wird bei Familienzusammenkünften gelästert: »Hosd’n gseng, den scheinheiligen Bruader, wia sich der an die Maria hi’wanzt, wia er sich ned schamt. Kriagt denn der gar nimmer gnua, wo er doch scho die ganzen Wohnblöck’ von da Verwandtschaft geerbt hat, der Saudeife?«
Nur ein einziges Mal, am Sonntag nach dem Wirtshausbesuch, da brachte mein Bruder
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