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Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)

Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)

Titel: Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Gruber
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bezeugen, sodass er ihn immer mit »Du, Herr Doktor« ansprach.
    Wenn man von seiner eigenen Ehefrau spricht, benutzen viele Bayern das Wort »mei Oide«, »d’Chefin«, »d’Regierung« oder – falls die Ehe schon längere Zeit andauert – auch gern die Bezeichung »d’Mama« oder »d’Mam«. Selbstverständlich gefällt das nicht allen Gattinnen. Die Mutter meiner Freundin wurde von ihrem Mann nur ein einziges Mal »Mama« genannt. Das war während eines Champions-League-Spiels seines geliebten FC Bayern. Da der Getränkenachschub ins Stocken geraten war, er selber aber keine Minute des Spiels verpassen wollte, sagte er ganz nebenbei zu ihr: »Mama, bringst mir noch a Halbe.«
    Als sie auch nach mehrmaliger Aufforderung immer noch ungerührt auf dem Sofa hockte, meinte er schließlich: »Was is’n?«
    Sie schaute ihn lange an und meinte dann: »Wenn du mich noch ein einziges Mal ›Mama‹ nennst, dann wirst du auf diesem Stuhl vertrocknen, weil ich bin nämlich ziemlich viel, aber ned dei Mama!« Er schwenkte in dieser Sekunde für den Rest ihrer immer noch andauernden, glücklichen Ehe wieder auf »Maria« um.
    Umgekehrt nennen die Frauen ihren Gatten in der Regel eher selten »mei Oida«, sondern benutzen meist das etwas respektvoll klingendere »da Babba« oder »da Babb«. Da ja der erste Mann, den jede Frau in ihrem Leben abgöttisch liebt, ihr Vater ist, nennen viele Ehefrauen ihren Gatten auch »Vati« oder »Vattl«.
    Letzteres wird auch von den Standlfrauen auf dem Münchner Viktualienmarkt gern für die männlichen Kunden benutzt. Ich kenne zum Beispiel zwei äußerst temperamentvolle Damen, Mutter und Tochter, die auf dem Viktualienmarkt einen Würschtlstand betreiben und die es beide – was sowohl Sprechtempo als auch sprachliche Virtuosität anbelangt – locker mit mir aufnehmen können. Jüngere männliche Kunden werden von den beiden grundsätzlich mit »Schatzi« angeredet, während ältere Herren meist als »Vati« oder »Vattl« durchgehen.
    Einmal kam ein durchgehend beigefarben gekleideter, älterer Herr an den Stand der beiden Münchner Originale. Optisch der Typ »Finanzbeamter Buchstabe L bis P«, denn er trug ein Polyesterblouson, eine etwas zu kurze Hose und Gesundheitshalbschuhe mit Lochmuster in einem etwas ockerfarbigem Beige, durch das man farblich passende Socken sehen konnte. Der etwas unsicher wirkende Mann war ganz offensichtlich noch nie am Stand der beiden Damen gewesen, denn er sah etwas verloren aus und starrte bestimmt fünf Minuten auf die schwarze Schiefertafel mit den Wurstgerichten. Dann näherte er sich zögerlich dem Fenster des Standls, zog einen speckigen brauen Geldbeutel aus seiner Hose und meinte: »Ich hätte bitte gern eine Weißwurst.« Aha. Ein Tourist. Wahrscheinlich aus NRW , denn in seinem Satz schwang ein wenig dieses typisch Kölsch-geschwängerte Frohsinnsrheinländisch mit. Die Seniorschefin schaute das beigefarbene Männlein fast mütterlich-mitleidig an und meinte: »Schaug her, Vati, eine Weißwurscht, des is’ ja praktisch nix. Da kriegst jetzt zwei und a Brezn dazu, dann samma wieder gut.« Sprach’s, servierte ihm sein Paar Weißwürscht mit einer großen Portion Senf und einer frischen Brezn und meinte fröhlich: »So, Vati, des macht dann vier Euro achtzig.«
    Beim beigefarbenen Menschen erstarb jeder mögliche Widerspruch beim Anblick des breiten Lächelns der Chefin mit den gepflegten weißen Zähnen, dem üppigen Dekolleté und den beringten, manikürten Händen, also zahlte er brav und schritt zum Verzehr seiner zwei Weißwürscht, wie befohlen.
    Besuch Wenn man irgendwo zu Gast ist, dann bringt man etwas mit. Immer. Zumindest eine Kleinigkeit, denn es geht nicht um den materiellen Wert eines Geschenks, sondern darum, dass der Beschenkte das Gefühl hat, der Schenker hat sich offensichtlich auf den Besuch gefreut und sich – das wäre der Idealfall – auch noch Gedanken gemacht, was derjenige, den man besucht, braucht, oder gar, was ihm gefallen könnte. Es darf ruhig auch etwas Selbstgemachtes wie Kuchen, Marmelade, Holundersirup oder Schnaps sein, allerdings sollte das jeweilige Geschenk noch nicht halb angefressen und noch genießbar sein. Denn auf keinen Fall darf sich der Gedanke beim Beschenkten aufdrängen: »Des hat wegmüssen.«
    Frauen wie meine Mutter hatten immer Schachteln mit gemischtem Gebäck und Pralinen vorrätig, »wenn ma amal schnell wo eingeladen is’!«. Auch Traubensaft (für Krankenhausbesuche bei

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