Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)
das Bett nicht zerlegt und die Matratzen nicht entfernt worden waren, die neue Küche nicht von fünfunddreißig feierwütigen Freunden bevölkert wurde in Erwartung einer Gulaschsuppe oder eines Käsebrettls, stand einer romantischen Hochzeitsnacht eigentlich nichts mehr im Wege. Und so wurde wahrscheinlich voller Romantik und Leidenschaft die ganze restliche Nacht das Ehrgeld in den Kuverts gezählt. Und mit solch einer prachtvollen Hochzeitsfeier im Rücken leben sie noch immer glücklich, zufrieden und finanziell bestens aufgestellt, bis dass der Tod sie scheidet.
Der Häuslschleicha
Wenn man in Bayern Geschichten über das Leben auf dem Dorf und dessen Einwohner erzählt, dann darf man natürlich den »Häuslschleicha« nicht vergessen, denn entgegen mancher Aussagen ist diese Spezies nicht ausgestorben, sondern erfreut sich vielmehr bester Gesundheit und ist so umtriebig wie eine Ratte im Kuhstall. Beim Häuslschleicha handelt sich um eine ganz besondere Sorte Mensch, die vor allem in ländlichen Gegenden ihr Unwesen treibt, indem sie sich mit List und Tücke das Erbe von alleinstehenden Rentnern oder Rentnerpaaren erschleicht. Der Häuslschleicha kann sowohl männlichen als auch weiblichen Geschlechts sein, denn es stellt sich immer wieder bei Beobachtungen in freier Wildbahn heraus, dass der vor allem in Deutschland weitverbreitete Charakterzug der Gier geschlechterübergreifend ist.
Bei seinem Unterfangen lässt sich der Häuslschleicha auch von eventuell existierenden erbfähigen Anverwandten nicht abschrecken, im Gegenteil: Hindernisse dieser Art beflügeln seinen verbissenen Ehrgeiz noch. Der Häuslschleicha hat es dabei unter anderem auch auf Bargeld abgesehen, aber in Bauernkreisen und gerade im Zuge der Eurokrise ist besonders Grundbesitz jeglicher Art, also zum Beispiel eine kleine »Sache« (soll heißen, eine kleine Hofstelle mit geringem Grundbesitz), das bevorzugte Objekt der Begierde. Aber auch Mietwohnungen, Häuserblöcke, Baugrundstücke, Sparkonten, Münzsammlungen, Perserteppiche, Schmuck und alte Pelzmäntel werden immer gern genommen.
Hat er einmal Lunte gerochen, ist der Häuslschleicha wie ein guter Schweißhund auf der Jagd nicht mehr von seiner Fährte abzubringen und setzt alles daran, die Beute heimzubringen, also »das Heu einzufahren«, wie man in Bayern sagt.
Er handelt dabei nicht etwa aus einer wirtschaftlichen Notwendigkeit heraus, denn in der Regel ist er finanziell bestens aufgestellt, sondern seine Skrupellosigkeit und sein Ehrgeiz wurden ihm meist im Rahmen einer ausgeprägten Profilneurose (»Mia san mia, mia schreim uns ›uns‹, und uns kunn koana!«) von seinen Vorfahren vererbt. Deshalb wurde das Häuslschleicha-Syndrom auch schon bei sehr jungen Menschen von Anfang zwanzig diagnostiziert. Es hat sich beispielsweise in unserer Gegend folgender Vorfall zugetragen:
Der Sohn eines landkreisbekannten Häuslschleichas besuchte ein ihm völlig unbekanntes Ehepaar, das einen großen stattlichen Hof bewirtschaftet und durch einen tragischen Unglücksfall ein paar Jahre zuvor seinen einzigen Sohn und Hoferben verloren hatte. Kaum hatte er erklärt, woher er kam und von welchem Hof er abstammte, bat er mehr oder weniger um sofortige Adoption, weil er sich angeblich mit seinem Vater zerstritten und dieser ihn enterbt hatte. Das dreiste Bürscherl wollte am liebsten am gleichen Tag bei dem Ehepaar einziehen, wobei er nicht bedacht hatte, dass die beiden gestandenen Bauersleute nicht »auf der Brennsuppn dahergeschwommen« waren. Der selbstbewusste Bauer durchschaute sofort, dass die hanebüchene Geschichte des zwielichtigen Burschen erstunken und erlogen war, und verwies ihn des Hofes, nicht ohne ihm vorher zu versichern, dass er seinen schmucken Hof an seinen leiblichen Neffen und selbstverständlich nicht an einen dahergelaufenen Häuslschleicha vererben würde.
Aber auch diese peinliche Erfahrung wird den abgebrühten Häuslschleicha in zweiter Generation nicht von weiteren Schandtaten abhalten, denn ein guter, erfolgreicher Geschäftsmann lässt sich von einem Rückschlag nicht ausbremsen. Dazu braucht der Häuslschleicha auch kein Abitur oder gar ein Hochschulstudium, es reichen eine gewisse Bauernschläue, grenzenlose Raffgier, Neid und Geiz. Außerdem besitzt er in der Regel weniger Skrupel als ein Investmentbanker bei Goldman Sachs.
Meist geht der Häuslschleicha allerdings nicht so ungestüm und dreist vor wie der junge Mann im obigen Beispiel, sondern in der
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