Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)
stärkere, weisere Geschlecht sind. Kurz gesagt: Sie wissen, wie der Hase läuft und wo der Frosch die Locken hat.
Meiner Meinung nach wäre auch das Stadtleben um ein gutes Stück einfacher und angenehmer, wenn man die eine oder andere unten aufgeführte Grundregel befolgen würde, denn man sollte eines immer bedenken: Der Mensch war früher mit Sicherheit nicht per se blöder als heute. Eher im Gegenteil.
Anbei also ein kleines Potpourri von Grundpfeilern des bayerischen Landlebens, so wie ich es erlebt habe:
Begrüßung Bayernweit gilt der Satz meines guten Freundes Bernhard Rötzer: »Ich grüß lieber einmal zu viel als einmal zu wenig!«
Zugegeben, in Münchens Fußgängerzone könnte sich die Durchführbarkeit dieses Satzes als etwas schwierig erweisen, aber beim Stadtbummel oder Spaziergang durch Ihre kleine Stadt oder Ihr Dorf grüßen Sie einfach jeden, der Sie länger als eine halbe Sekunde fixiert. Auch wenn Sie nicht den leisesten Schimmer haben, von wo und ob Sie ihn überhaupt kennen. Egal. Lieber einmal öfter grüßen anstatt jemanden zu ignorieren, der hinterher über Sie sagt: »Brauchst du nimmer grüßen, oder was?«
Beim Betreten eines Geschäfts, einer Metzgerei, eines Lokals, einer Arztpraxis et cetera müssen zwar nicht alle Angestellten einzeln begrüßt werden, aber ein für alle Umstehenden laut hörbar in den Raum gerufenes »Grüß Gott!« sollte es schon sein. Der Vorteil dieser Grußformel ist übrigens, dass sie zu jeder Tages- und Nachtzeit funktioniert, im Gegensatz etwa zum Italienischen, wo man ständig überlegen muss: »Heißt es noch »buongiorno« oder schon »buona sera« oder vielleicht gar »buona notte«?
Wenn man die zu Begrüßenden gut kennt, sagt man im Singular »Griaß di« und im Plural »Griaß euch«.
Siezt man die angesprochene Person, heißt es natürlich »Griaß Eahna«. Dieser Ausdruck hat bei einigen Sprachunkundigen schon oft für Verwirrung gesorgt: Ein Bekannter von mir, der aus Berlin zu Besuch war, fragte mich irgendwann: »Du, det mit der Begrüßung, det versteh’ ick nich. Wat wollen die immer mit der Erna? Welche Erna? Wat meint ihr da?« Ich habe ihn dann über die imaginäre »Erna« aufgeklärt, aber irgendwie ergab es für ihn immer noch keinen Sinn.
Beim »Grüß Gott« muss dazugesagt werden, dass einige Klugscheißer eventuell mit »Das tue ich, wenn ich ihn sehe!« antworten werden. Allerdings ignoriere ich solche saudummen Antworten seit Jahren geflissentlich und erfolgreich (denn man kann ja schlecht erst »Grüß Gott« zu jemandem sagen, um ihm dann anschließend eine aufs Maul zu hauen, selbst wenn man das gern täte).
Die saloppere Version von »Grüß Gott« ist »Servus«, die ebenfalls überall sowie zu jeder Tages- und Nachtzeit gilt. Allerdings spricht der Ureinwohner das Wort meist so schlampig aus, dass es eher wie »Seus«, »Seas« oder gar »Sesss« klingt. Mir persönlich gefällt auch das etwas prinzregentenhaft anmutende »Habe die Ehre«, das auch gern wie »Habe d’Ehre« oder gar »d’Ehre« ausgesprochen wird. Bei Letzterem zieht mein Freund Georg Hoanzl das letzte »e« immer so lange, dass es fast wie ein verkürzter Jodler klingt: »d’Ehreeeeeeeee«. Quasi ein Juchzer und ein Aufruf zu guter Stimmung gleichzeitig.
Anrede Dass der Bayer jeden seiner Mitmenschen fast ausnahmslos und ohne Aufforderung duzt, ist keine Unart, die Waldi Hartmann eingeführt hat, sondern tatsächlich eine weitläufig verbreitete Gepflogenheit. Gesiezt werden in der Regel nur Personen, denen überdurchschnittlicher Respekt entgegengebracht wird: Pfarrer, Lehrer oder Lehrerin, Hausarzt oder -ärztin und die meisten »Gstudierten«, aber auch Menschen, die mit einer solchen Respektsperson verheiratet sind. Die Gattin eines Mediziners zum Beispiel wird beim Metzger, Bäcker et cetera auf dem Land grundsätzlich mit »Frau Doktor« angesprochen, obwohl sie nicht auf der Uni, sondern auf dem Standesamt promoviert hat, aber der Arztberuf ist in Bayern – gerade auf dem Land – von jeher so hoch angesehen, dass der Bayer über solch kleine »Dipferlscheißereien« großzügig hinwegsieht.
Außerordentliche Respektspersonen zu duzen fällt jedem Bayern schwer, selbst wenn er eigentlich das Recht dazu hätte. In der Praxis meines früheren Zahnarztes war ein alter Bauer mit seiner gesamten Familie seit so vielen Jahren Patient, dass mein Zahnarzt ihn duzte. Der alte Bauer aber wollte seinem Doktor trotz Duzerei noch Respekt
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